Ouvertura – ein Experiment, von dem wir alle lernen können (Woche 8/52)

Freitagabend 18:30 – ich klinke mich aus dem MIT-Vortrag zur Regional Air Mobility aus und hechte virtuell rüber ins Gestaltungstreffen unseres Solidarischen-Landwirtschaft-Vereins Ouvertura.

Das Kernteam

Das Kernteam kommt remote zusammen, um kurz über die anstehenden operativen Tätigkeiten zu sprechen, also zum Beispiel, wie es gerade mit der Produktion steht. Ich kenne außer Julia, die mich „angeworben“ hat, niemanden persönlich.

Erst später kapiere ich, dass der Kassier Lorenz Glatz mal eine bedeutende Größe in der Wiener Hightech-Szene und CTO von Kabel Deutschland war. Er ist ziemlich aktiv in der Solawi-Szene Österreichs, hat er doch schon die Solawi Ochsenherz mitgegründet und auch die Munus-Stiftung ins Leben gerufen. Er ist definitiv die Koryphäe der Solawis in Österreich.

Dann sind da Barbara und Sarah, die auch schon sehr lange bei Ouvertura sind. Sarah schält während der Sitzung Knoblauch für die Produktion. Sie und Barbara sind im Produktionsteam und kümmern sich mit anderen darum, dass wir jede Woche ein Kisterl mit Produkten wie Hafer, Grieß, Pestos oder auch Antipasti haben.

So erzählen sie, dass diese Woche im Kisterl wieder Brot sein wird. Nein, nicht irgendeines, sondern eines, das von No 11 in Gramatneusiedl für Ouvertura gebacken wird. Es ist total irre. Lukas Horak backt für Ouvertura – er ist auch Mitglied – unvergleichlich gutes Brot. Nein – ihr könnt es nicht kaufen. Die Patisserie No 11 in Gramatneusiedl ist übrigens ein Geheimtipp. Es lohnt sich, dorthin zu fahren: Lukas‘ Gebäck und seine Süßspeisen sind ein Gedicht.

Ich nehme mir fest vor, mich mal mit Sarah zum Thema zu treffen, um über Permakultur zu sprechen. Sie ist unsere Permakulturspezialistin. Ich muss herausfinden, welche Gedanken sie sich schon für unsere Felder hier in Moosbrunn gemacht hat.

Was passiert mit den Kichererbsen?

Wir sprechen über vieles, das euch nicht wirklich interessieren wird, zum Beispiel, ob und wie wir ein Frühlingsfest machen werden. Dann kommt eine Frage auf, die mich fesselt und die ich später Lorenz noch einmal stelle: Was machen wir mit den vielen Kichererbsen? Es war so: 2020 hatte ein befreundeter Bauernhof für uns Kichererbsen angebaut. Unsere Felder sind dafür nicht geeignet, wie ich später erfahre. Die Ernte fiel 2020 aber sehr mager aus. Also dachte das Produktionsteam: Lasst uns 2021 zwei Felder Kichererbsen anbauen, um den Bedarf zu decken. Es kam, wie es kommen musste: Die Ernte war ausgesprochen gut. Die Folge: so viele Kichererbsen, wie niemand aufessen kann. Jedenfalls nicht wir als Mitglieder. Wir müssten jeden Tag nichts als Humus essen – und das wird dann doch ein wenig fad. Was sollen wir also mit den Kichererbsen, mehr als 4 Tonnen (4.000 kg) machen?

Verkaufen auf dem freien Markt? Das wäre eine logische Idee. Neni am Naschmarkt in Wien kann die Kichererbsen sicher für die Produktion seines beliebten Hummus gebrauchen. Doch Moment: Wem gehören dann die Einnahmen und zu welchem Preis verkaufen wir die Kichererbsen? Ich lerne, dass einige Solawis genau das machen. Doch Ouvertura ist eben keine gewöhnliche Solawi. Ouvertura ist ein Experiment. Hier wollen wir andere Wege gehen als die offensichtlichen.

Was ich über Ouvertura erfahren habe

Ouvertura will ganz bewusst Dinge ausprobieren und ungewöhnliche Wege gehen. Lorenz Glatz erklärt mir einige der Rahmenbedingungen, unter denen Ouvertura operiert und die zum Teil historisch bedingt sind.

Ouvertura will klein bleiben.

Es hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass in Solawis mit mehr als 120 Hofanteilhaber:innen sich nicht mehr alle Mitglieder untereinander kennen. Ok – das ist logisch, das kennt ihr alle in der agilen Community. Hier schlägt Dunbar gnadenlos zu.

Overtura will ein Vollversorger werden.

Die meisten Solawis sind Gemüsebäuer:innen. Genau das hatte ich ursprünglich erwartet und mich dann gewundert, dass afghanische Karottenmarmelade und Dinkelreis oder Pastinaken-Pesto in der Kiste waren.

Dann erfahre ich, dass Ouvertura viele Mitglieder aus der Ochsenherz-Community mitgenommen hat.

Viele Mitglieder leben also gar nicht dort, wo wir produzieren. Die Region selbst, also Moosbrunn, ist noch gar nicht wirklich erschlossen. Was mich wundert, denn ich hätte gedacht (so funktioniere ich halt), dass das Ziel von Ouvertura sein müsste, die Bewohner:innen von Moosbrunn mit den Produkten, die vor ihrer Haustür erzeugt werden, zu versorgen.

Ouvertura experimentiert u. a. mit der Frage: Können wir nicht auch die Mitarbeiter:innen solidarisch entlohnen?

Eigentlich eine logische Idee. Wenn die Mitglieder selbst ihren Anteilspreis definieren können (auch ein Novum in der Solawi-Szene), warum nicht auch die Gehälter der Mitarbeiter:innen an deren Bedürfnissen statt an Lohngefügen ausrichten? (Wow, das würde ich ja gerne bei borisgloger ausprobieren.) Ob das arbeitsrechtlich geht? Nahe dran ist übrigens Buffer, ein international remote-arbeitendes Start-up.

Die Idee, das Experiment und die andere Wirtschaft

In dieser Woche wird mir klar: Die Ideen, wie solidarisches Wirtschaften funktionieren kann, sind bereits da. Für manches gibt es konkrete Konzepte, z. B. wie Entlohnung anders aussehen kann, mit denen wir auch bei borisgloger sicher noch experimentieren werden. Vieles ist noch nicht ausprobiert, für vieles gibt es noch keine fertigen Lösungen. Aber die Menschen bei Ouvertura haben sich aufgemacht, es anders zu machen, als es der Mainstream vorgibt. Dabei lernen sie voneinander, wie es gehen kann, die eigenen Bedürfnisse mit Hilfe einer Gemeinschaft zu erfüllen.

Die Reihe

Titelbild: engin akyurt, Unsplash