Könnte es sein, dass unser Bildungssystem – also das Schulsystem in Deutschland – deswegen nicht das beste und wünschenswerteste für unsere Kinder ist, weil wir eine im internationalen Vergleich einmalig rigide Schulpflicht haben? Diese Idee vermittelt Philip Kovce in seinem Vortrag „Schafft die Schulpflicht ab!“. Ihm geht es aber nicht darum, Argumente für eine Minderheit von Schüler:innen in Deutschland zu sammeln, die nicht in die Schule gehen wollen.
Kovce führt viele politische und rechtliche Argumente an, sein zentrales Argument gegen die Schulpflicht ist jedoch das folgende: Weil es keine Alternativen zur Schulpflicht gibt, werden die Neugier und die Lernbereitschaft von Kindern nicht etwa unterstützt, sondern geradezu sabotiert. So kann kein freiwilliges Commitment der Lernenden entstehen – es entsteht nur das Gefühl des Zwangs. Gleichzeitig behandelt das System Schule, dank Schulpflicht, alle Schüler:innen als Objekte, die zum Lernen gezwungen werden müssen und sanktioniert es, wenn diese Objekte gerade nicht in der Lage sind, zu lernen.
Schulpflicht fördert Reformresistenz
Ich finde dieses Argument bestechend, und zwar über diesen pädagogischen Ansatz, den ich hier gar nicht bewerten will, hinaus. Wir alle wissen, dass das System Schule in seiner aktuellen Form nicht ideal ist. Gleichzeitig wissen wir auch, dass wir irgendeine Form von Schule brauchen, weil die Neugierde von Kindern in der Regel nicht alleine durch die (Wissens-)Ressourcen der Eltern befriedigt werden kann. Wir alle wissen auch, dass unsere Schulen reformbedürftig sind.
Doch kann es sein, dass wir gerade deshalb in Deutschland ein so konsequent reformresistentes Schulsystem haben, weil es eben diese einzigartige, rigide Form der Schulpflicht gibt? Es gibt für Kinder keine Lernalternativen zur Schule. Sie dürfen sich nicht für Homeschooling oder Freilernen entscheiden. Sie dürfen nicht selbst bestimmen, wann sie zur Schule gehen oder welchen Unterrichtsstoff sie durchnehmen wollen. Es herrscht unbedingte Anwesenheitspflicht, die sogar polizeilich durchgesetzt werden kann.
Folglich gibt es auch keinen Anreiz für die Schule, sich so zu verändern, wie es für die Schüler:innen notwendig oder sinnvoll wäre. Lehrkräfte müssen ihre Lehrmethoden nicht ändern. Die Kinder müssen in ihren Unterricht, egal wie gut oder weniger gut dieser ist. Schule ist alternativlos, sie hat ein Monopol. Will ich, dass mein Kind anders unterrichtet wird, dann kann ich eine Schule gründen. Doch auch in diesem Fall muss das Kind dann in die Schule gehen. Die Freiwilligkeit des Lernens ist also dahin. Und damit ist selbst das beste pädagogische Konzept dahin, weil es immer einen Zwang gibt.
Monopole verhindern Innovation
Wir wissen, wohin ein Monopol, also die Wettbewerbslosigkeit, führt: zu extremen Kosten für den Kunden. Genau das ist es, was wir beobachten: Die Ausgaben für Schulen steigen, die Qualität sinkt, Gebäude verfallen – doch die Kinder müssen hingehen. Der Steuerzahler soll zahlen, für mehr Lehrkräfte, für mehr für Bildung – doch die Lernerfolge bleiben aus und der Schulstoff ist keineswegs up-to-date.
- Wie wäre es, wenn wir echten Wettbewerb um die Lernenden zulassen würden? Nicht im Sinne eines Wettbewerbs der Schulen untereinander, sondern im Sinne von: die Schule in ihrer aktuellen Form gegen andere Lernformen.
- Wie wäre es, wenn wir es den Kindern überlassen, ob sie zur Schule gehen wollen? Viele werden hingehen wollen. Einige werden aber vielleicht den Matheunterricht lieber zuhause über YouTube beziehen: Lehrer Schmidt scheint mit 945.000 Abonnent:innen sehr beliebt zu sein. Wieder andere haben vielleicht die Möglichkeit, die Geschichte Roms in Rom selbst zu erfahren oder lernen Biologie im Zoo oder im Wald.
- Wie wäre es, wenn Schule mit den neuen Formen des Lernens konkurrieren müsste, wenn sie ein angenehmer Ort sein müsste, damit die Kinder gerne hingehen? Was würde passieren, wenn die Kinder der Direktorin sagen: „Klar – der Unterricht ist super. Doch es ist eine Zumutung, auf den ollen Möbeln des letzten Jahrzehnts zu sitzen oder noch immer keine Turnhalle mit einem dichten Dach zu haben.“
Alles, was wir als Bürger:innen tun müssten, wäre darauf zu pochen, dass einige simple Gesetze korrigiert werden. Das müsste mit einer einfachen Mehrheit funktionieren, weil die Schulpflicht nicht im Grundgesetz steht. Da steht nichts davon, dass wir unsere Kinder in die Schule schicken müssen. Das steht nur in Ländergesetzen, die geändert werden können.
Würde sich etwas ändern? Wahrscheinlich nicht sofort. Aber ein Monopol wäre gebrochen und das würde Raum für Innovation schaffen.
Warum versuchen wir Eltern gemeinsam mit unseren Kindern es nicht? Es kann nur besser werden und kostet gar nichts. Das ist übrigens genial: eine Veränderung, die Veränderungen möglich machen würde, und das zum Nulltarif. Die Veränderungen nicht, doch die Möglichkeit der Veränderung wäre kostenlos. Naja – Gesetzestexte müssen umgeschrieben werden. Das kostet natürlich etwas.
Titelbild: Max Fischer, Pexels