»Es gibt kein richtiges Leben im falschen«, hat Adorno gesagt. Im Kontext der Klimakrise trifft dieser Satz den Nagel auf den Kopf: “Es gibt kein nachhaltiges Leben in einer nicht-nachhaltigen Gesellschaft”, schreibt Lisa Neubauer in ihrem Buch “Vom Ende der Klimakrise”. Damit beschreibt Frau Neubauer die Misere, in der wir uns aktuell befinden: Solange es für den Einzelnen komplizierter und mühsamer ist, gegen das Establishment aus Angeboten, Prozessen und Strukturen anzukämpfen; solange wir gewissermaßen das Geld für eine nachhaltige Lebensweise mitbringen müssen, solange entwickelt sich kein positiver Effekt, der es uns als Gesellschaft ermöglicht, wirklich nachhaltiger zu werden.
Das heißt nicht, dass wir nicht gewillt sind, unseren Beitrag zu leisten: Wir lassen das Auto öfters stehen und fahren stattdessen mit dem Rad, wir nehmen den Nachtzug und ernähren uns vegetarisch oder vegan – weil wir hoffen, einen Unterschied zu machen. Kleine Schritte sind zwar notwendig und richtig, aber letztendlich müssen wir eingestehen: Wir erzielen damit keine Skaleneffekte. Wie können wir das Ruder dennoch herumreißen?
Ich denke: Wir brauchen ein sich selbst verstärkendes System für Nachhaltigkeit – eines, das das vorherrschende Wirtschaftssystem nutzt, um es der Gesellschaft zu ermöglichen, nachhaltiger zu werden. Einen weiteren denkbaren Ansatz erläutert die Professorin Mariana Mazzucato in ihrem Buch “The Value of Everything”: Wir müssen die Annahmen, nach denen wir wirtschaftlich handeln, in Frage stellen und sie ändern.
In ihrem TED Talk “What is economic value und who creates it?” diskutiert sie zudem die These, dass der Wert einer Sache ausschließlich durch seinen Preis ausgedrückt wird. So hätte der wirtschaftliche Neoklassizismus hervorgebracht, dass die Banker von Goldmann Sachs (gemessen am Verdienst) die wertvollste Arbeit der Gesellschaft leisten. “In 2009 Lloyd Blankfein, CEO of Goldman Sachs, claimed that ‘The people of Goldman Sachs are among the most productive in the world.’” Völlig ignorierend, dass eben diese Bank ein Jahr zuvor “a major contributor to the worst financial and economic crisis since the 1930s,” gewesen ist.(1)
Im Umkehrschluss bestätigen diese Gedanken das, was wir real erleben: Die wertvolle Arbeit von Müttern, ErzieherInnen, LehrerInnen und Pflegekräften finden in der Wirtschaft wenig Beachtung. Die Annahme dahinter: Sie erhalten zu wenig Geld, ergo ist ihre Leistung nichts wert. Ähnlich verhält es sich mit der Umwelt: Anstatt sie zu schätzen und zu schützen, machen wir sie kaputt – denn sie kostet ja nichts und wir verlernen schon im frühen Lebensalter, mit ihr umzugehen. Insbesondere in urbanen Umgebungen lernen Kinder heute oft als Erstes, wie ein Smartphone funktioniert anstelle des richtigen Umgangs mit lebenswichtigsten Ressourcen. Wenn dann irgendwann in der 3. Klasse die Fotosynthese, der wichtigste Stoffwechselprozess der Natur, durchgekaut wird, hat davon vermutlich ein Großteil der Kinder noch nie etwas gehört.
Diese Ignoranz geht bei der Lebensmittelverarbeitung und -bepreisung weiter: Ein Burger kostet in der Herstellung weniger als 10 Cent und wird für circa einen Euro verkauft. Doch was sind die wahren Herstellungskosten, wenn alle an der Herstellung eines Burgers Beteiligten C02-neutral arbeiten? Laut eines WiWo-Artikels liegt der Erzeugerpreis dann schon bei circa 68 Eurocent bis zu 2,15 Euro (2). Und so ist es mit vielen Produkten, die wir täglich in unseren Supermärkten kaufen. Sie werden von den Generationen, die nach uns kommen oder von den Steuerzahlern subventioniert, weil unsere Regierungen noch immer – direkt oder indirekt – gigantische Konzerne mit Milliarden-Profit subventionieren.
So wurde etwa die Abwrackprämie eingeführt, um die Automobilindustrie in Deutschland vor dem Aus zu retten. Sie sorgte einmal mehr dafür, dass die großen Konzerne durch Aktienrückkäufe ihre Kurse stabilisieren konnten. Welchen gravierenden Unterschied hätte es stattdessen gemacht, wenn das Geld in den ÖPNV geflossen wäre?
Überfluss in der Landwirtschaft
Ein Drittel der Subventionen in der EU erhält die Landwirtschaft, die zu viel von allem produziert: zu viel Wein, zu viel Milch, zu viel Fleisch usw. – und dennoch bleibt beim Landwirt kaum etwas hängen. Eine extensive Landwirtschaft wird also am Leben erhalten, die erzeugt, was niemand mehr konsumieren kann und dieses Zuviel wird auf Kosten unserer Umwelt produziert. Insekten sterben, die Vögel finden in der Folge keine Nahrung mehr, die Flüsse sind verseucht. Was würde wohl passieren, wenn die Milliarden stattdessen ausschließlich in echten Biolandbau oder sogar in Permakulturen fließen würden? Würde das die Bauern gar verleiten, selbst in diese Richtung gehen? Dazu verweise ich auf eine Initiative in den Niederlanden: Landwirte, die zum Beispiel Höfe stilllegen und einen Neuanfang wagen – wie das Errichten eines Seniorenheims auf ihrem Hof – werden dafür vom Staat in Form einer Anschubfinanzierung unterstützt.
Diese Beispiele können unendlich fortgeführt werden – im Kern geht es darum, ein neues Denken zuzulassen, das effektiver ist. Beim Thema Agilität haben wir in den letzten zwei Jahrzehnten gesehen, dass ein nicht aufzuhaltender Run entsteht, wenn die Ergebnisse überzeugen. Dafür müssen wir die Vorteile bewusst machen, die Menschen durch die herbeigeführten Änderungen erfahren – genau dann werden sie diese Änderungen auch umsetzen (wollen). Denn wenn der Bürger, der sich eigentlich gegen die Windräder vor seinem Dorf stellt, spürbar am erzeugten Strom finanziell beteiligt wird – also eine Art Einkommen daraus entsteht – wird er vermutlich keinen Widerstand mehr leisten.
(1) siehe: Mariana Mazzucato, The Value of Everything”, S. XIII
(2) siehe https://www.wiwo.de/technologie/green/ernaehrung-das-kostet-ein-cheeseburger-wirklich/13549790.html
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