Letztens war bei einer kleinen Sonntagnachmittagparty ein 8-jähriger Junge über Stunden tief in einen Carrera-Rennbahn-Katalog versunken. Er studierte ihn mit all seiner Aufmerksamkeit und dann forderte er mich zum Duell: Wer malt den schönsten Rennwagen? Das erinnerte mich so stark an den Jungen meiner ehemaligen Lebensgefährtin. Er war mit acht Jahren in der Lage, jeden Fußballer der Profiligen aufzusagen. Er kannte deren Stärken, wusste ihr Alter, in welchem Verein wer wann gespielt hatte, wie viele Tore welcher Spieler in diesem Jahr bereits geschossen hatte, … einfach alles. Ein Fußballreporter hätte es sicher nicht besser gewusst.
Wer begeistert ist, lernt leicht
Wie machen die kleinen Kerlchen das? Sie sind begeistert. Sie lernen etwas, das sie interessiert. Die gleichen Jungs sind aber oft nicht immer auch die besten in der Schule. Warum wohl: Schule ödet einfach an – die Texte, die gelesen werden sollen, sind langweilig. Oder, wie es eine meiner Freundinnen erzählt: Ihre Tochter muss in der ersten Klasse Wörter lesen, ohne zunächst die Buchstaben dieser Worte kennengelernt zu haben. Das ist einfach absurd. Schule ist noch immer, so wie vor 43 Jahren bei mir, nicht auf das ausgerichtet, was Kinder interessiert oder brauchen. Schule ist als Institution für die Kultusminister, die Lehrer und die Schulbehörden gemacht. Sie dient als Aufbewahrungsanstalt für Kinder, damit die Eltern arbeiten gehen können.
Ken Robinson sagt es immer wieder: Schulen müssen sich endlich zu Oasen des Lernens entwickeln. In seinem hörenswerten Vortrag „How to escape education´s death valley“ macht er deutlich, dass wir Schulen zu Umfeldern machen sollten, in denen Kinder Lust aufs Lernen haben und in denen sie das lernen können, was sie wirklich interessiert. Gelingt uns das, so werden sie dort begierig alles aufsaugen. Sie werden dann sicher zu nützlichen Mitbürgern, die die Herausforderungen der Zukunft meistern werden.
Doch noch ist das nicht so. Deshalb gehen einige Eltern einen ganz anderen Weg. Sie gründen ihre eigenen Kindergärten, wie in Mödling bei Wien die Waldleos, oder sie gehen den noch extremeren Weg und schicken ihre Kinder erst gar nicht in die Schule. Sie treten damit in die Fußstapfen von André Stern, der nie in der Schule war: „Als kleiner Junge hatte ich die immerwährenden Fragen der Leute irgendwann satt, die erstaunt waren, mich frei herumlaufen zu sehen, während alle anderen Kinder in der Schule saßen. Also legte ich mir einen kleinen Satz zurecht, um mich ein für alle Mal vorzustellen: »Bonjour, ich heiße André, ich bin ein Junge, esse keine Bonbons und zur Schule gehe ich nicht!« Diese letzte Äußerung sorgte üblicherweise für eine gewisse Aufregung; und das ist auch heute noch der Fall.“
Stern, André: Und ich war nie in der Schule: Geschichte eines glücklichen Kindes. ZS Verlag Zabert Sandmann GmbH. Kindle Edition (p. 8).