Hätte mir vor zwei Jahren jemand gesagt: “Deine Strategie zu lokalisieren, also Kunden um die Wohnorte deiner Kunden zu suchen, um das Fliegen zu vermeiden, um Netzwerke aufzubauen, um eine Gemeinschaft vor Ort zu bilden und auch um neue Kolleginnen und Kollegen anzuziehen, ist im Zeitalter der Digitalisierung obsolet” – ich hätte ihn ausgelacht. So schön das klingt, dass man alles vom Homeoffice aus machen kann, die Unternehmen würden immer wollen, dass man vor Ort ist.
Dann kam Corona und der Rest ist Geschichte
Wir haben für sehr viel Geld in Wien und Frankfurt wundervolle Büros angemietet, die jetzt grösstenteils leer stehen, weil sie nicht mehr in der erwarteten Form gebraucht werden. Wie viele andere auch arbeiten wir jetzt vom Homeoffice aus. Die Kunden haben sich umgestellt und erwarten eine neue Form von Consulting. Die Vorteile: Wir alle sparen Reisekosten, Lebenszeit, sind ein wenig C02-neutraler und bei all dem auch noch produktiver.
Wir haben unsere Prozesse fundamental verändert: So stellen wir neue Kolleginnen und Kollegen beispielsweise remote, also per Videokonferenz ein, schicken dann die neuen Rechner mit dem Fahrradkurier und führen das Onboarding remote durch. Eine Konsequenz ist, dass wir weniger Krankentage haben, die Leute sind gesünder. Sie erkälten sich nicht durch die Klimaanlage des Kunden oder des Flughafens, sie stehen nicht im Platzregen oder bekommen im ICE kalte Füsse. Die Frage drängt sich auf: “Warum sollten wir wieder zurück zu unseren Kunden gehen? Warum sollten wir Trainings vor Ort geben?” Die alte Form des Arbeitens ist nicht auf kurzfristige Sicht oder gar mittelfristig, sondern gänzlich vorbei.
Ja, es wird noch Formen dieser Art des Coachings geben. Es wird so aussehen, als würde es wiederkommen, aber doch nur zu neuen, exklusiven Preisen, für einen ausgewählten Kundenkreis. Wir, wie viele andere Unternehmen, werden nicht riskieren, dass die Kolleginnen und Kollegen durchs Reisen an Corona erkranken. Wir haben begonnen, an das “neue Normal”, wie es vor ein paar Monaten hieß, nicht nur zu glauben, sondern wir leben es.
Die alte Normalität ist vorbei
Doch immer noch hört man in den Nachrichten, wir müssten zur alten Normalität zurück. Leute, die alte Normalität ist vorbei. Warum sollten Unternehmen, die jetzt gute Erfahrungen mit dem Homeoffice gemacht haben, ihre Leute zurück in die Büros holen? Geht es wirklich um diesen einen Grund, der immer wieder in den Medien auftaucht? Die Kinder stören, die Belastung in den Wohnungen sei zu hoch. Die Eltern müssten, damit sie ihren Job im Homeoffice machen können, zuhause in Schichten arbeiten. Die Kinder, die zuhause spielen, seien das Problem. Gleichzeitig wissen wir alle, dass die Schulen eine wichtige Rolle bei der Ausbreitung von Pandemien spielen.
Gehen wir doch den Gedanken einmal anders an: Müssen wir die Kinder denn in die Schulen zurückholen? In ein Schulsystem, das ohnehin veraltet ist, in dem traditionelle Lernformen noch immer wider besseren Wissens vorherrschen? In Schulgebäude, für die nicht genug Geld ausgegeben wird, wo wir Kinder in nicht ergonomische Schulbänke zwängen und in denen es immer an Ressourcen mangelt?
Bauen wir doch moderne Lernkomplexe statt Hotels
Warum sollten wir die Kinder in die Schulen zurückholen, wenn es Beispiele dafür gibt, dass sie zuhause und in freien Lerngruppen besser arbeiten (siehe etwa die Freilerner oder Bücher wie die von André Stern oder seinen Podcast mit mir hier)? Oh ja – wir hören immer nur von denen, die in diesem System zurückgelassen werden. Das stimmt: Millionen werden tatsächlich benachteiligt. (Genau darüber habe ich hier mit einer Lehrerin gesprochen und hier mit dem Future Learning Lab Wien.)
Doch anstatt darüber zu sprechen, wie wir diese Benachteiligung in den Griff bekommen, reden wir nur darüber, alle Kinder wieder in die zu kleinen, nicht modernisierten, nicht mit Belüftungsanlagen ausgestatteten Schulgebäude zu stecken, um sie wieder mit der veralten Schulmethode zu traktieren. Gleichzeitig machen wir ihnen Angst: Sie seien die Jahrgänge, über die die Industrie mal sagen wird, “Die haben ja nicht genug gelernt”. Wir stecken Milliarden von Kurzarbeitergeld in überholte Industrien, aber errichten keine modernen Schulkomplexe, in denen Kinder miteinander lustvoll lernen können, um die nächste Generation für das, was kommen wird, auszurüsten: Hochwasserkatastrophen, Dürren, die nächste Pandemie. Wir investieren Milliarden von Euro in Wirtschaftshilfen für Gastronomen, die damit ihre Restaurants umbauen, sind aber nicht bereit, jedem Schulkind ein Tablet zu kaufen. Dabei gäbe es doch jetzt die Chance, Lernen zu ändern.
Kostenloses Internet und ein Tablet für alle
Mein Englischlehrer macht mit mir seine Sessions schon über Zoom. Warum sollte ich je wieder zu ihm ins Büro fahren? Und warum machen wir nicht den Englischunterricht unserer Kinder mit den Kindern aus einer englischen Partnerschule? In England. Wir brauchen doch nur die Partnerschule per WhatsApp, Signal, Zoom, MS Teams, Discord – sucht es euch aus – anzufunken und dann reden die Kids von dort mit den unseren. Oder wir lassen die Mathe-Enthusiastinnen und -Enthusiasten der Schule selbst ihren Mitschülerinnen und Mitschülern, die das Mentoring brauchen, den Beweis des Thales erklären. All das geht doch heute per Video. Alles was wir brauchen, ist kostenloses Internet und ein Tablet für alle. Ach, das kostet Geld? Nicht so viel wie die Arbeitslosenhilfe, die wir in zehn Jahren bezahlen müssen, nur weil unsere Kinder heute nicht die angemessene Ausstattung haben, um schnell und genug zu lernen.
Ja, es stimmt, es gibt Kids, die haben keinen Platz zum Lernen zuhause. Gut, dann lassen wir diese Kinder doch auch jetzt in die Schule gehen. Richten wir dort in den Klassenzimmern Sitzecken ein. Ja, vielleicht muss man die Zahl der Kinder, die sich dort treffen dürfen, beschränken. Die Lehrkräfte machen wird dann zu den Aufpassern. Sie sind dafür da, dass die Regeln eingehalten werden.
Und was ist mit der Wirtschaft los?
Warum reden Wirtschaftsführer nicht darüber, wie wir diesen Digitalisierungsschub konsequent nutzen? Warum helfen wir nicht dem Einzelhandel, digital zu werden, statt durch Subventionen den Verfall ihres Geschäftsmodells zu verlangsamen? Mal ehrlich, glauben denn die Einzelhändler wirklich, dass sie wieder aufstehen werden? Wer gelernt hat, wie einfach das Einkaufen bei Amazon und Co. ist, wird nicht mehr davon lassen. Warum sollte ich noch in den Baumarkt gehen? Dort gibt es die Japansäge eh nicht aus Japan, sondern nur das teure Imitat. Für das gleiche Geld kommt die wirklich gute Qualität aus Japan per Knopfdruck nach Hause.
Warum sollte ich noch in die Geschäfte gehen, wenn mir eine Plattform das weltweite Sortiment direkt nach Hause liefert? Das gilt nicht nur für den Baumarkt, das gilt für Schuhe, für Kleider und sogar für die Hafermilch. Der Zug in Richtung Digitalisierung rollt so schnell, dass wir noch gar nicht mitbekommen haben, dass er schon an uns vorbeigefahren ist. Wir sollten aufhören, darüber nachzudenken, wie das Alte nach Corona wiederkommen kann. Beginnen wir stattdessen, so zu tun, als wäre Corona für ewig. Dann werden vielleicht die Kräfte frei, die wir brauchen, um die Wirtschaft nachhaltig umzubauen.
Titelbild: Unsplash License, Karsten Winegeart