Die ersten Ergebnisse unserer Initiative Scrum4Schools zeigen, dass ein Scrum-ähnliches Vorgehen im Unterricht den Schülern tatsächlich dabei hilft, schneller und mit mehr Freude zu lernen. Wir werden also diesen Weg weitergehen und mehr und mehr Schulen in Deutschland und Österreich dabei unterstützen, Scrum4Schools zu praktizieren.
Doch einige Studien zeigen: Es gibt Millionen Kinder, die gar nicht in die Schule gehen. In den USA werden etwa vier Prozent der Schüler zuhause unterrichtet. Dabei gibt es im Wesentlichen zwei Herangehensweisen:
- Beim klassischen – eher verschulten – Homeschooling bringen die Eltern den Kinder den gleichen Lehrstoff wie in der Schule bei.
- Beim Free-Learning bestimmen die Kinder selbst, was sie lernen möchten – Eltern sind hier die Ermöglicher.
Auf der Moving Forward Conference sagte Felix Ohswald, Gründer von www.gostudent.org, dass Kinder das lernen würden, was sie interessiere – und das in der Regel ganz von selbst. Wir alle kennen das: Der 8-jährige Junge, der alle Carrera-Autos auswendig kennt, der 10-Jährige, der alles über Fußball weiß und das 11-jährige Mädchen, das die Besonderheiten jeder Pferderasse kennt. Offenbar ist das möglich, was uns André Stern – der nie in einer Schule war – in seinen Vorträgen erzählt: Man kann alles lernen, man braucht keine Schule.
Wer begeistert ist, lernt leichter
So sagt Stern in seinem Buch “Werde, was du warst”:
“Der heute von Wissenschaftlern enthüllte Prozess ist ebenso einfach wie klar: Die Begeisterung wirkt wie eine Art Düngemittel. Da, wo wir uns begeistern, entwickelt sich das Gehirn rasch und spontan. Die Neurobiologie beweist, was wir alle schon durch Erfahrung wissen: Die Begeisterung ist der Generalschlüssel. Sie verleiht uns Flügel, lässt uns Hindernisse überwinden. Wenn wir uns begeistern, ist nichts mehr unerreichbar, das Lernen geht scheinbar »von allein«. Die Beobachtung kleiner Kinder hat gezeigt, dass sie alle drei Minuten einen Begeisterungssturm erleben. Erwachsene empfinden im Durchschnitt dieselbe Menge Begeisterung nur zwei bis drei Mal pro Jahr … Warum hat sich niemand je die Frage gestellt, was aus einem Kind würde, das sein ganzes Leben lang im angeborenen Zustand der Begeisterung bleiben dürfte?“
Kinder lernen, wenn sie begeistert bleiben. Und das gelingt, wenn sie in ihrem Lernen nicht behindert werden, wenn das Spiel als begeisterndes Lernen verstanden wird, wie es auch Gerald Hüther in seinem Buch “Rettet das Spiel” sagt:
„Kleine Kinder erleben täglich eine große Anzahl solcher Begeisterungsstürme einschließlich der damit einhergehenden »Düngerfreisetzung« in ihrem Hirn. Das ist der Grund dafür, dass sie mit so großer Lust in so kurzer Zeit so viel lernen. Nicht durch Belehrungen und Unterweisungen oder sonstige »Fördermaßnahmen«, sondern indem sie spielerisch jeden Tag ein bisschen mehr über die Welt herausfinden, vor allem über ihre eigenen Möglichkeiten, diese Welt zu entdecken und zu gestalten. Ausprobieren, was geht. Herausfinden, wie etwas zusammenpasst oder zerlegt werden kann. Sich selbst, den eigenen Körper, seine Gefühle, seine mentalen Fähigkeiten kennenlernen, eigene Talente und Begabungen entdecken, besondere Fähigkeiten einüben und zur Meisterschaft weiterentwickeln –das alles machen Kinder im Spiel, absichtslos, zweckfrei und unbewusst, ganz von allein. Die Biologen bezeichnen das als einen »sich selbst organisierenden Prozess«: Wenn alles passt und die Voraussetzungen dafür günstig sind, entfaltet ein Mensch, zunächst als Kind, aber auch noch später als Erwachsener, die in ihm angelegten Potenziale von ganz allein.“
Die Aufgabe von Eltern und Pädagogen wäre also, einen Ort zu schaffen, wo das möglich ist. Wo Kinder ständig das lernen können, was sie gerade begeistert. Scrum4Schools geht in diese Richtung. Doch Kindern die Chance zu geben, dort zu lernen, wo sie wollen – zum Beispiel zuhause oder in der Natur statt in der Schule – wäre die nächste logische Konsequenz. Eben so, wie es André Stern formuliert, der nie in einer Schule war.
Freilernen – ein erstes Konzept zum “Unschooling”
In Deutschland ist das auf den ersten Blick ein fast unmögliches Unterfangen. Hier gilt die Schulpflicht, die notfalls mit Hilfe der Polizei durchgesetzt wird. Ganz anders sehen das die Briten, dort gibt es keine Schulpflicht. Dort, wie auch in weiten Teilen der USA, dürfen die Eltern selbst entscheiden, wie ihre Kinder unterrichtet werden sollen. Sogar in Österreich ist es möglich, seinen Kindern den Schulbesuch zu ersparen: Allerdings muss hier eine sogenannte Externisten-Prüfung gemacht werden. D.h. die Kinder treten einmal im Jahr zu einem Test an, bei dem sie quasi nachweisen müssen, dass sie einen bestimmten Kanon des Schulstoffs beherrschen. Es gibt also eine ganze Reihe von Menschen, die eine Schule nie von innen gesehen haben. Und es gibt Menschen, die sich organisieren, damit diese Form des Lernens umgesetzt werden kann. In Österreich gibt es zum Beispiel die Community der Freilerner:
“Freilernen (oder Unschooling) bezeichnet ein vom jungen Menschen selbstgesteuertes Lernen in seinem jeweiligen Lebensumfeld, im Unterschied zum Schulunterricht und zur klassischen Form des Hausunterrichts (oder Homeschooling). Bei dieser Art des Lernens gibt es daher keinen geplanten Unterricht oder bestimmte Zeiten am Tag, für die schulähnliche Aktivitäten vorgeschrieben sind. Im Wissen, dass Lernen und Bildung immer und überall stattfinden und an keinen Ort und keine Institutionen gebunden sind, erfolgt das Lernen hier nicht durch extrinsische, sondern ausschließlich durch intrinsische Motivation. Der junge Mensch entscheidet selbst, welchen Interessen er wann nachgeht.” [1]
Die Freilerner gehen davon aus, dass Schule den Kindern nicht wirklich etwas beibringen kann, denn dort wird Lernen sanktioniert und vor allem muss jedes Kind das Gleiche lernen – egal, ob es sich dafür interessiert oder nicht. Es gibt einige Erfahrungsberichte von Eltern, zum Beispiel im Buch “Wir sind so frei: Freilerner-Familien stellen sich vor”. Darin stellen die Herausgeber Familien aus Deutschland, der Schweiz und Österreich vor, die sich dazu entschieden haben, ihre Kinder nicht mehr in Schulen zu schicken. Unter anderem weil sie erkannt haben, dass die Schule oft nicht das hervorbringt, was wir uns von ihr versprechen:
“Der Blick in die Problematik von heutigen jungen Erwachsenen, welche in der Schule waren, zeigt, dass die fortwährenden Forderungen über all die Schuljahre eher dazu führen, dass fast die überwiegende Mehrheit nach der Schulpflicht einmal eine ganze Weile nichts tut, zumindest nichts, was ihren selbstständigen Unterhalt sichert.” [3]