Da ist es also, das erste Kisterl. Die Mitglieder der Solidarischen Landwirtschaft Ouvertura bekommen jede zweite Woche ein solches Bio-Kisterl mit Produkten, die der Verein produziert. Dieses Mal sind darin: Eier, Pilze, Popcorn-Mais in dunkelrot zum Selbst-Runterkletzeln, Marillenröster mit Kürbis, Pilz-Pesto mit Rosmarin, Wurzelgemüsesuppe, Dinkelflocken (bzw. Haferflocken für glutenfreie Anteile), Buchweizenbruch und Linsen.
Die Eier sind aus den Freilaufgehegen auf dem Acker von Ouvertura bei Moosbrunn. Die Pilze, aus denen das Pesto gemacht wurde, kommen von Kooperationspartner Biopilzzucht Reiser. Die eigenen Versuche mit Pilzen waren in den Jahren zuvor nicht erfolgreich gewesen, hat Julia mir erzählt. Julia ist ein langjähriges Mitglied bei Ouvertura. Sie kümmert sich um die Hühner, leitet das Kommunikationsteam (in dem auch ich künftig mitarbeite) und und und.
Das Prinzip der Solidarischen Landwirtschaft ist genial
Menschen schließen sich zusammen und produzieren gemeinsam die Lebensmittel, in der Qualität, in der sie diese selbst haben wollen. Sie unterstützen sich. Aber nicht, indem sie sich die Dinge gegenseitig abkaufen, sondern indem sie gemeinschaftsbasiert diese Lebensmittel selbst anbauen und verarbeiten. Mit anderen Solawis oder befreundeten Unternehmen werden Überschüsse gegen andere Waren getauscht. Die Grundlagen zu diesem Tauschprinzip findet ihr bald im Podcast-Interview mit Timo Wans und natürlich auf der Website der Solidarischen Landwirtschaft. Es kommt auch vor, dass ein:e Landwirt:in den eigenen Hof allmählich in einen Solidarischen Betrieb überführt oder damit experimentiert, indem er oder sie zunächst nur ein Stück des Betriebes solidarisch bewirtschaftet.
Gemeinsame Verantwortung & Ernährungssouveränität
“Unsere Vision ist eine gemeinschaftsgetragene, vielfältige, bedarfsgerecht entlohnte, ökologische und regionale Landwirtschaft, in der die Menschen unmittelbare Verantwortung für ihre lokale Grundversorgung übernehmen.“
Aus der Vision und den Grundprinzipien des Netzwerks Solidarische Landwirtschaft
Es geht in der Solidarischen Landwirtschaft um eine Form des Wirtschaftens, die auf einige Aspekte der Sustainable Development Goals der UNO einzahlen, zum Beispiel ganz explizit auf das Ziel 12 „Ensure sustainable consumption and production patterns“ oder auf das Ziel 13 „Take urgent action to combat climate change and impacts“.
Besonders interessant finde ich den Punkt der Verantwortung. Wir wissen aus der agilen Praxis, dass die Ergebnisse besser werden, wenn die Teams die Verantwortung und die Konsequenzen ihres Handelns selbst erleben. Genauso ist es hier: Wer gute Lebensmittel haben will, muss Verantwortung dafür übernehmen. (Wobei die Frage berechtigt ist, warum wir als Gesellschaft zulassen, dass unsere konventionelle Lebensmittelproduktion das obige eben nicht erfüllt.)
„Die Solidarische Landwirtschaft ermöglicht eine krisenfeste und ökonomisch tragfähige Erzeugung von gesunden Nahrungsmitteln. Sie bietet eine Zukunftsperspektive sowohl für bestehende bäuerliche Betriebe und gemeinschaftsgetragene Unternehmen (Anm.: Was auf SDG 8 „Promote sustained, inclusive and sustainable economic growth, full and productive employment and decent work for all“ einzahlt) als auch für Betriebsneugründungen. Damit leistet Solidarische Landwirtschaft einen wertvollen Beitrag zu echter Ernährungssouveränität.“ (Anm.: Womit sie auf SDG 15 „Protect and promote sustainable use of terrestic ecosystems“ ebenfalls einzahlt.)
Aus der Vision und den Grundprinzipien des Netzwerks Solidarische Landwirtschaft
In diesem Ausschnitt aus der Vision zur Solidarischen Landwirtschaft steckt die Idee, dass Wirtschaften auch anders stattfinden kann, als wir es gegenwärtig machen. Eben nicht markt-, sondern gemeinschaftsbasiert. Die „Verbraucher:innen“ sind keine Verbraucher:innen, sondern Mitwirkende und übernehmen Verantwortung auch für die Produzent:innen. Dadurch brauchen sich diese keine Sorgen zu machen, ob sie sich ihren Lebensunterhalt leisten können und können sich darauf konzentrieren, gute Produkte herzustellen.
Es geht um mehr als Bio
Warum ist es mir so wichtig, zu verstehen, was das eigentlich Andere der Solidarischen Landwirtschaft ist? Hier geht es nicht um eine Form der biologischen Landwirtschaft. Auch diese kann nach gängigen Marktregeln erfolgen. Diesbezüglich funktioniert sie im Grunde nicht anders als die konventionelle Landwirtschaft. Auch hier ist der Weg zum hochverarbeitendem industriellen (Bio-)Produkt bereits weitgehend im Gange. Die Konsequenzen sind auch in der Biolandwirtschaft: Monokulturen und eine unproduktive Flächennutzung. Es ist egal, ob man die Fertigpizza aus Bio-Weizen mit Bio-Käse und Bio-Olivenöl kauft. Das Artensterben wird nicht wirklich aufgehalten, so lange Felder aus Monokulturen bestehen.
Nebenbei bemerkt essen wir auf diese Weise noch immer ungesund. Bio-Mehl verhält sich im Körper nicht anders als konventionell gewonnenes Mehl. Die Keimlinge im Weizenkorn sind immer noch entfernt. Diese würden nämlich die Lebensdauer des Mehls reduzieren, da die Keimlingsfette ranzig werden können. Mehl selbst ist ungesund, so sagt es der Mediziner Dr. Pradip Jamnades in seinem Vortrag „Addiction“. Vegane Fertigprodukte mit (Bio-)Sonnenblumenöl könnt ihr getrost im Regal lassen. Auch diese sind hochverarbeitet und liefern nur leere Kalorien. Daher lassen sie den Insulinspiegel ansteigen, und das ist erwiesenermaßen nicht gut für eure Gesundheit. Mehr zu diesem Thema und eine Literaturliste findet ihr in diesem Artikel.
Bei der Solidarischen Landwirtschaft geht es darum, zu verstehen, dass die Zukunft der Menschheit damit einhergeht, ob es uns gelingt, eine Landwirtschaft zu erzeugen, die die Artenvielfalt und Biodiversität erhält und unsere Lebensgrundlage sichert, indem sie aktiv dazu beiträgt, die CO2-Belastung zu reduzieren. Das erfordert einen anderen Umgang mit unseren Böden (Stichwort: Permakultur), wie ich an andere Stelle schon beschrieben habe.
(Ernährungs-)Souveränität beginnt bei mir
Der Weg zu gestärkter Artenvielfalt und Biodiversität könnte sein, dass wir wieder die Verantwortung für unsere eigene Ernährung übernehmen. Das tun wir, indem wir etwa die Herkunft der eigenen Lebensmittel nicht nur hinterfragen, sondern sogar beginnen, selbst die richtigen Produkte zu erzeugen. So wie das Haubenköch:innen auch beginnen zu tun. Hierzu empfehle ich die wunderbare Reihe von „Chefs Table“ auf Netflix (etwa die Folge mit Sean Brock, in der er zeigt, wie wichtig es ist, seine eigenen Bohnen anzubauen). Übrigens gibt es eine ähnliche Tendenz in der Medizin. Mehr und mehr Autor:innen schreiben, dass wir selbst wieder die Verantwortung für unsere Gesundheit übernehmen müssen, da das Gesundheitssystem leider nicht mehr dafür sorgt, dass wir gesund bleiben. (Siehe dazu u. a. das Buch Metabolical von Robert Lustig.)
Ich habe noch viele Fragen an die Solidarische Landwirtschaft, nämlich ob und wie sie als System funktioniert. Wobei die Frage, „ob sie funktioniert”, bereits beantwortet ist. Es gibt mehr als 400 Solidarische Landwirtschaften in Deutschland und mehr als 50 in Österreich, wie ich dieser Website entnommen habe. Das Prinzip funktioniert also. Wie es funktioniert und wie man andere davon begeistern kann, das ist die eigentliche Frage. Denn natürlich wäre es sinnvoll, wenn mehr und mehr Menschen mitmachen. Auf diese Weise können viel mehr Menschen aktiv zum Klimaschutz beitragen und dem Artensterben ein wenig entgegenwirken.
Der Mais wird Popcorn
Es kann nicht damit getan sein, dass ich mir durch die Mitgliedschaft bei der Solawi einen Ernteanteil sichere. Wobei das sicher der erste Schritt ist – aber dann bleibe ich ja Konsument, oder? Nicht ganz, denn ich übernehme mit meiner Mitgliedschaft auch aktiv Verantwortung dafür und habe ein Interesse daran, dass dieses Unterfangen gelingt. Die Mitglieder übernehmen also für die Gemeinschaft Verantwortung und das funktioniert, weil sie das gleiche Ziel haben. Der nächste Schritt für mich ist, mich aktiv daran zu beteiligen den Verein voranzubringen. Zum Beispiel, indem ich darüber schreibe, was dieser Verein macht, oder indem ich meine Kenntnisse darüber, wie man Arbeit agil organisiert, anbiete.
Gestern Abend wurde dann aus Popcorn-Mais Popcorn. Das war ein wenig mehr Arbeit als das Mikrowellen-Popcorn: Mais runterkletzeln, Butter in den Topf und dann den Topf wieder ausspülen, statt: Folie runtergeben, in die Mikrowelle legen und anschalten, Packung aufreißen und dann wegwerfen. Dafür schmeckte mir mein erstes Popcorn aus dem Kisterl aber auch viel besser.