Die Zukunft ist düster — es bleibt nur der Optimismus

Mein Lieblingsradiosender ist der Deutschlandfunk. Es gibt morgens schon Interviews mit Spitzenpolitikern, es werden gesellschaftliche Themen besprochen und man erfährt ein wenig mehr als in den populäreren Sendern darüber, was vorgeht. Doch das Zuhören macht depressiv. Die deutsche Politik ist den ganzen Tag mit internen Streitereien beschäftigt, die CDU ringt um einen neuen Parteivorsitzenden, die SPD verschläft die Vierte Industrielle Revolution, gerichtliche Entscheidungen zum Dieselfahrverbot werden unterlaufen — keine Spur von Realitätssinn. Und damit meine ich: Niemand scheint in der deutschen Politik im Heute zu entscheiden, was für das Morgen wichtig ist. 

Konzerne und Hedgefonds – die wirklichen Machthaber

Die westlichen Industrieländer erleben den größten Umbruch der letzten 50 Jahre. In den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg wurden sie durch ein gemeinsames Feindbild geeint. Der Fall des Eisernen Vorhangs hinterließ ein Vakuum, in dem sich etwas völlig Neues einnistete: die Digitalisierung. Es war aufregend, mit einem Mausklick plötzlich Bücher und mehr oder weniger sinnvolle Dinge aus der ganzen Welt bestellen zu können und dann auf Vergleichsportalen unsere Meinung darüber zu verbreiten. Und – Apple sei Dank und geheiligt sei dein Name – bald konnten wir das ständig und überall mithilfe der neuen Droge Smartphone tun. Alles ein Segen einerseits, doch ohne dass wir es wirklich bemerkten, wurde Politik immer wirkungs- und ideenloser. Die Macht wanderte zu den GAFA (Google, Apple, Facebook, Amazon) und den Unternehmen, die im selben Fahrwasser daherkamen. Apples Marktkapitalisierung, sein Wert an der Börse, liegt bei 1 Billion USDollar. Zum Vergleich: Der deutsche Bundeshaushalt betrug 2018 gerade einmal 343,6 Milliarden Euro. Zusätzlich regieren Fondsgesellschaften und Hedgefonds in die deutsche Industrie hinein. Larry Fink, Gründer von BlackRock, gibt in vielen deutschen Unternehmen den Ton an und sogar Friedrich Merz, Spitzenkandidat der CDU, steht auf Fink’s Gehaltsliste. Es wäre naiv zu glauben, dass Merz davon in seinen Entscheidungen unbeeinflusst bliebe.

Der optimierte Mensch 

Natürlich hat die Wirtschaft schon immer Einfluss auf die Politik genommen, und das hat in der Vergangenheit mitunter Diktatoren den Aufstieg erleichtert. Doch nun gibt es Unternehmen mit solch gigantischen Geldreserven, dass sie sich ganze Staaten einfach kaufen könnten. Mit ihrem Geschäftsmodell der Cash Machine saugen sie so viel Geld auf, dass sie sogar in die Grundlagenforschung investieren können – und das in Größenordnungen, bei denen der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG wahrscheinlich schwindlig wird. GAFA investiert in künstliche Intelligenz, betreibt Laboratorien wie Google X (mit auf den ersten Blick tollen und innovativen und für die Menschheit bedeutenden Ideen) und ziehen die klügsten Wissenschaftler der Welt an. Hier arbeiten sie an Machine Learning, Artificial Intelligence, digitaler Bilderkennung und an einigen Dingen mehr, von denen wir vermutlich gar nichts wissen (sollen). Sie arbeiten dabei nicht nur an der Verbesserung der Suchalgorithmen, sondern, wie es Richard David Precht in seinem neuen Buch “Jäger, Hirten, Kritiker” (Rezension in der FAZ) schreibt, an der Optimierung des Menschen:
“Das Effizienzdenken – oder wie die Philosophie seit Max Horkheimer und Theodor W. Adorno sagt: die »instrumentelle Vernunft« – folgt einer unerbittlichen Verwertungslogik. Und sie wird gnadenloser und immer schneller. Doch etwas ist ganz neu am Effizienzdenken der vierten industriellen Revolution. Sie wendet die Aufforderung zur Optimierung nicht nur auf Produktionsprozesse an. Nein, sie hält den Menschen selbst für optimierungsbedürftig!” [1] 

Flucht in die Bubble

Das alles passiert ungebremst, so wie es in den guten alten Dystopien wie Blade Runner oder Elysium zu sehen ist. Gigantische Konzerne regieren eine machtlose und zukunftslose Menschenmasse, die in Bedeutungslosigkeit versinken wird. Der Bore-out wird durch den Insignificance-out ersetzt werden. Es wird überhaupt keine Rolle mehr spielen, was der Einzelne macht. Alimentiert durch ein Grundeinkommen (das nach Precht ein hoher Nutzen sein könnte, doch sei die Debatte in Deutschland dazu völlig tendenziös und irrational, wie er in Wien bei seinem Vortrag während der ThinkIBM erläuterte), damit er die Produkte kaufen kann, die die Konzerne liefern werden. So wird der Einzelne möglicherweise glücklich in seiner Isolationskammer des VirtualReality-Smartphones (ein Gedankengang angeregt durch das Buch Nächste Ausfahrt Zukunft) sitzen, doch was er will, wird gelenkt durch den kontinuierlichen Strom der Werbung und durch Algorithmen, die uns sagen werden, wann wir zu joggen haben, wann wir zu essen haben und wen wir zu lieben haben.

Noch sind das alles kleine Helferlein. Doch mit den Daten, die wir diesen Apps zur Verfügung stellen, werden wir am Ende zur Masse, die man manipulieren kann. Wie Svea Eckert eindrucksvoll auf dem PM Forum 2018 in Nürnberg gezeigt hat, ist es ziemlich einfach aus anonymisierten herauszufiltern, wer der eigentliche User ist. Der Einzelne ist ansteuerbar und damit gezielt verführbar.


“Der junge Mann, der neben mir steht, wirkt wie ein Patient, der seinen digitalen Dialyseapparat in Händen hält. Das Smartphone ist zu einem Teil unseres Körpers geworden, ein ausgelagertes Organ, ohne dass wir hilflos umherirren in einer vernetzten Welt. Vielleicht lässt sich nur so diese Zusammenballung von Menschen um einen herum ertragen. Die Verdichtung und Enge der Megastädte zwingt zur Flucht in das Virtuelle. Die Anonymität der Hochhäuser und Wohnsiedlungen löst jedes Ichgefühl auf. Wie will man sich spüren in der Anonymität solcher übergroßen Städte mit ihren riesigen Wohnsilos?” [2]

I need a hero 4.0

Philosophen versuchen einen Zukunftsblick, Journalisten wie Ranga Yogeshwar, Historiker wie Yuval Noah Harari versuchen, uns die Zusammenhänge zu erklären, warnen und versuchen den Blick für das Wesentliche zu schärfen. Doch unsere Politiker ignorieren es, bleiben blind oder wollen blind sein. Ich frage mich, ob sie es wirklich nicht sehen oder insgeheim ihre eigenen Agenden haben. So oder so — wir müssen endlich aufwachen und unsere Zukunft selbst bauen. Wir müssen entscheiden, wie wir leben wollen und unsere Politiker zwingen, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen. Wenn wir etwas wollen – zum Beispiel aus Braunkohle und Atomkraft aussteigen -, dann müssen wir aber auch dazu bereit sein, die Konsequenzen zu tragen.

Es ginge wesentlich einfacher, wenn unsere Politiker endlich die anstehenden Probleme lösen würden, statt die Zeit mit Schmierentheater zu verplempern. Schlussendlich ist alles eine Entscheidung: ob wir die Erde weiter ausbeuten und zerstören wollen, ob wir unsere Daten verschenken wollen und ob wir uns wie Vieh lenken lassen wollen. Eine positive Entwicklung funktioniert nicht mit Menschen an den Schalthebeln der Macht, die à la Seehofer nach hinten schauen, um ihre Pfründe zu sichern. An der Spitze brauchen wir dafür Politiker mit Rückgrat und einer Vision für eine lebenswerte Zukunft.

[1] Precht, Richard David. Jäger, Hirten, Kritiker: Eine Utopie für die digitale Gesellschaft (p. 20). Goldmann Verlag. Kindle Edition. 
[2]Yogeshwar, Ranga. Nächste Ausfahrt Zukunft (p. 173). Kiepenheuer & Witsch eBook. Kindle Edition.