Generalstreik!

Ich bin mir nicht sicher, ob ich das richtig verstehe. Da beginnt eine Schülerin mit einer ganz einfachen Aktion. Sie setzt sich vor das schwedische Parlament und streikt. Sie tritt für etwas ein. Viele von uns nehmen es zur Kenntnis, dass mehr und mehr junge Menschen ihrem Beispiel folgen — doch die Diskussion in den Medien dreht sich nicht darum, diesen Appell aufzugreifen. Stattdessen diskutieren wir, ob wir es Schülern erlauben sollten, sich für etwas einzusetzen. Sollten wir sie für ihr gesellschaftliches Engagement sogar bestrafen, zum Beispiel durch Schulverweise?

Sagt mal, geht es uns noch gut? Anscheinend! Wir lassen zu, dass Politiker über diese Kinder herziehen, um von ihrer eigenen Unfähigkeit abzulenken. Wir unterstützen diese (unsere) Kinder nicht, indem unsere Gewerkschaften zum Generalstreik aufrufen oder zumindest den gesellschaftlichen Diskurs endlich beginnen. Nein, viel lieber lassen wir uns noch immer ablenken.

Die Migrationsströme werden weiterhin zur teuflischen Bedrohung stilisiert, statt endlich zu verstehen, dass Europa und die USA seit Jahrhunderten dafür sorgen, dass es so weit kommt. Wir in den sogenannten “entwickelten” Ländern sorgen doch dafür, dass sich diese Menschen auf den Weg machen. Wir exportieren doch die Waffen, mit denen Frauen und Kinder in diesen Gebieten unterdrückt werden. Unsere Regierungen destabilisieren ganze Regionen, um den Nachschub für billiges Öl zu garantieren, und wir vergiften damit zum einen die Atmosphäre unseres Planeten und entwürdigen indirekt all die Menschen, denen wir nicht helfen, ihre Menschenrechte zu wahren. Wir reden über Fairtrade und wissen doch, dass unsere Jeans von Kinderhänden gemacht werden.

Seehofer wollte und will die deutschen Grenzen schützen, griff aus machtpolitischen Gründen die etablierte Regierung an und all das, um die ewig Gestrigen zufrieden zu stellen. Im Wahn, wenn die CSU nur noch weiter rechts stünde als die AFD, dann würden die Wähler der CSU den Vorzug geben. Alles, um ganz offensichtlich davon abzulenken, dass es seine Aufgabe wäre, innenpolitisch dafür zu sorgen, dass wir alle in Deutschland – vor allem Frauen – gleiche Chancen haben. Seine Aufgabe als Innenminister wäre es, ein politisches Klima zu schaffen, in dem mehr Frauen die hohen Ämter ausüben, mehr Frauen CEOs werden und mehr Frauen in Entscheidungspositionen sitzen.

Gleichzeitig pfeifen es die Spatzen vom Dach: Unser Bildungssystem ist anachronistisch. Die Elite schickt ihre Kinder längst in Privatschulen und die Kultusministerien geben weiterhin lieber Geld für noch mehr Lehrer aus, statt das bestehende Schulsystem grundlegend zu reformieren und die Lehre komplett zu verändern. Abgelenkt werden wir mit Digitalpakten, die viel zu kurz greifen. Geht doch mal in die Schulen: Viele Lehrer haben keine Ahnung von den digitalen Medien (wie immer gibt es natürlich Tausende andere, die etwas versuchen). Glauben wir denn wirklich, wir könnten mit Technologie die Kultur in unseren autoritären, patriarchalischen Schulen ändern?

Aber wir, das Volk, lassen all das zu! Ein Freund sagte vor ein paar Wochen: Nur die Teenager von heute können etwas ändern. Sie müssen sich massiv als Generation einsetzen.

Als hätte er es geahnt: Eine junge Schülerin schüttelt nicht nur den Kopf, sie setzt sich mit einem Plakat vors schwedische Parlament. So wie durch Greenpeace in den 1980er-Jahren begann sich durch die Aktionen das Mindset zu verändern. Und siehe da: 13 Wochen nach Gretas erstem Protest gehen weltweit 1,5 Millionen Schüler für das Klima auf die Straße. Greta hat bereits viel erreicht.

Lassen wir uns anstecken, machen wir mit! Wie wäre es, wenn Lehrer mitmachten? Wenn die ganze Nation freitags die Arbeit für sechs Stunden niederlegen würde? Wenn keine Autos mehr fahren würden, wenn die Flieger am Boden blieben und keine Pakete mehr ausgeliefert würden?

Waren es nicht die Gewerkschaften, die vor ein paar Jahrzehnten dafür gesorgt haben, dass wir menschlichere Arbeitsbedingungen bekommen? Könnten sich die Gewerkschaften nicht mal zusammentun und solidarisch für alle Menschen eintreten? Es betrifft doch uns alle.

Und übrigens ist es ein Schande, dass es in Deutschland Kinder- und Altersarmut gibt. Deutschland gehört zu den reichsten Ländern der Erde. Wohin geht denn das ganze Geld? Ach ja — wir Steuerzahler müssen desolate Banken retten, Kohlestromerzeugern ihren Wohlstand für die nächsten 30 Jahre sichern, Autokonzernen helfen, ihre veraltete Technologie am Leben zu halten. Und unsere Generation, die 40- bis 60-Jährigen, freut sich als Aktionäre, dass VW noch nie so viele luftverpestende Autos verkaufen konnte wie 2018.

Das ist einfach absurd! Wir erhalten den Status quo auf Kosten unserer Kinder. Wird Zeit, dass sich die Kinder auflehnen, damit Deutschland endlich die notwendigen Maßnahmen trifft und die Infrastruktur modernisiert, das Stromnetz demokratisiert, Bildung auf den modernen Stand der Pädagogik bringt, Gewalt gegen Kinder in den Familien angeht und sich endlich international aufstellt.

Als das, was Deutschland ist: Die einzige Alternative zu den politischen Systemen USA und China. Keine andere Nation hat dazu eine Chance und keine andere Nation hat eine Geschichte, die uns zwingt, für die Bedürftigen, Notleidenden und Verfolgten (weltweit) einzustehen und das moralisch Richtige zu tun. Insofern hat Merkel damals richtig gehandelt und wir alle wissen das. Doch wollen wir es nicht wahrhaben, denn das würde bedeuten, wir müssten handeln und endlich etwas grundlegend anders machen.

Das Irrwitzige daran ist: Wenn wir aufhören würden uns zu sorgen, ob wir dabei gut wegkommen, ob wir selbst genügend Wohlstand behalten und stattdessen die richtigen Dinge täten, dann würde es uns auch selbst besser gehen. Denn es gibt eine Gesetzmäßigkeit, eine Weisheit, die tausende Jahre alt ist:

Der Wohlstand vermehrt sich, wenn man investiert, wenn man teilt und etwas riskiert. Er vermehrt sich nicht, wenn man auf seinem Ersparten, seinem Status quo hocken bleibt.

Das hat Keynes für die Wirtschaft schon in den 1930er-Jahren gezeigt. Also lasst uns teilen und investieren. Lasst und mit vollen Händen viele Milliarden Euro in Projekte stecken, die uns aus der Krise führen (bei null Prozent Zinsen ergibt das sogar noch mehr Sinn). Nur so werden wir alle mehr haben, nur so können wir vielleicht doch unser Klima retten und vielleicht doch die gigantischen Migrationsströme aufhalten, die auf uns zukommen werden.

 

Foto: pixabay, geralt