Niklas Luhmann machte vor Jahren klar, dass Organisationen und Institutionen und ganze Gesellschaftsbereiche aus geschlossenen Systemen bestehen. Es geht weder eine Information hinein noch hinaus. Die Systeme „lernen“ Neues, indem sie sich inhärent – durch Druck von außen – neu ausrichten.
Exakt so erklärt Gerald Hüther, wie unsere Gehirne funktionieren. Eine Störung bringt das Gehirn in Dissonanz mit den eigenen Denkmustern. Das Gehirn sucht intern eine Lösung, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Die erste Reaktion eines Systems ist immer: Es versucht in den alten Zustand zurückzukehren. Die Mechanismen, die wir Menschen dafür haben, sind bekannt: verneinen, dass etwas sich verändert, es ignorieren, oder sogar verdrängen. Wenn das alles nicht klappt, suchen wir ein neues Subsystem – eine neue Gruppe von Menschen, die so denken, wie wir selbst: Bekannte, Freunde und Verwandte, die in der Regel ähnliche Muster haben. Das ist auch in der Wissenschaftsgemeinschaft so, im Recht, in der Kirche, in der Bildung.
Jedes System versucht in der eigenen Unkenntnis zu verharren
Denn zunächst kann es das Neue gar nicht integrieren. Nun gibt es immer Teile eines Systems, z. B. einzelne Menschen, die aus den unterschiedlichsten Gründen vor allen anderen Menschen gewisse Erfahrungen machen oder Einsichten erlangen, weil sie mit etwas konfrontiert werden, das auch sie zunächst nicht akzeptieren wollten. Doch aus welchem Grund auch immer stellen sie sich dem. Dieses Thema beschreibt Platon im Höhlengleichnis: Jemand verlässt die Höhle des Status quo, geht in die Sonne, ist anfangs geblendet, hat Angst, sieht dann aber die Schönheit draußen vor der Tür. Als er zurückgeht, um den anderen zu sagen: “Kommt, lasst uns ‘vor die Tür’ gehen”, glauben sie ihm nicht und töten ihn. Er stellt eine Störung im System dar. Verdrängen, verneinen, ausgrenzen oder sogar töten ist einfacher, als selbst vor die Tür zu gehen.
Warum gehen die anderen nicht einfach auch vor die Tür? Weil sie nicht können. Sie wissen nicht, wie das geht. Sie kennen den Weg nicht oder trauen sich nicht (auch eine Folge von Nicht-Wissen).
Das Resultat ist Widerstand
Wir glauben in der westlichen Welt, dass die Systeme (Menschen sind auch Systeme für sich) sich nicht bewegen, weil sie nicht wollen. Nein – sie können nicht. Sie haben schlicht nicht die Fähigkeiten, um einfach das zu tun, was jetzt notwendig ist. Die Folge von Nicht-Können ist also Widerstand.
Daher lebe ich seit Jahren nach dem Grundsatz: Widerstand ist eine Folge von Nicht-Können. Denn wenn Systeme etwas können, tun sie es, weil sie ja einen Nutzen davon haben.
Eine von mir sehr geschätzte Kollegin Laura Vollmann-Popovic hat uns letztens beim Unternehmer:innenstammtisch erklärt, dass politische Bewegungen dann etwas erreichen, wenn es ihnen gelingt, 3,5 Prozent der Bevölkerung eines Landes hinter sich zu bringen. Denn dann beginnen die Politiker:innen, sich zu bewegen. Nicht weil sie einsehen, dass etwas getan werden muss. Das geht ja, wie oben beschrieben, nicht. Sondern deshalb, weil sie auf den Druck auf die Macht (Luhmann sagt, Politik reagiert auf die Unterscheidung Macht oder Nicht-Macht) reagieren. Sie fürchten also um ihren Machterhalt.
Auf das Klimathema transferiert bedeutet das
Unser derzeitiges Wirtschaftssystem, unsere Firmen, unser Institutionen „können“ die solarbasierte Wirtschaft nicht. Ein faszinierendes Beispiel: In Stanford wird derzeit erforscht, wie man durch Elektrolyse petrochemische Stoffe erzeugt, ohne dazu fossile Brennstoffe zu nutzen. Die Idee: Nimm das CO2 aus der Atmosphäre und Wasser. Mache daraus durch Elektrolyse, die mit Wind- und Solarstrom betrieben wird, die notwendigen Stoffe für die Herstellung von Gütern wie Stickstoff (z. B. für Dünger).
Wobei das Stickstofferzeugungsproblem durch Elektrolyse superkompliziert ist. Zusätzlich wird als Katalysator in der Regel Platin benutzt. Das treibt die Kosten für diese Anlagen ins Extrem. Denn Platin ist sehr teuer. Derzeit sind diese Anlagen also noch nicht lukrativ, weil das Platin erst durch bessere billigere Katalysatoren ersetzt und der Strom günstiger werden muss. Aber wenn es gelänge, das Platin zu ersetzen und den Strom für 1 US-Cent/kg erzeugtes Material zu liefern – wir also wüssten, wie das geht und unsere Systeme das könnten – wäre es gar kein Problem. Die Unternehmen würden sofort aufhören, fossile Brennstoffe zu nutzen, um petrochemische Stoffe zu erzeugen. Aber da das natürlich die Industrie gefährdet, die genau dieses Knowhow nicht hat, geht diese in den Widerstand (und betreibt Lobby-Arbeit).
CO2 aus der Luft statt aus dem fossilen Speicher
Ein tolles Start-up – Twelve – geht diese Richtung. Die Gründer:innen wollen das C02 aus der Luft holen und damit die in der Petrochemie benötigten Stoffe herstellen. Sie schreiben dazu treffend in einem Web-Kommentar:
“The problem isn’t carbon itself, it’s that we’re using ancient carbon to power our modern world, which leads to a climate-warming imbalance of CO2 in the atmosphere. Fossil fuels are the source of carbon for almost everything around you, from the foam in running shoes, to automobile dashboards, to aviation fuel, to laundry detergent. As the standard of living increases for billions, our consumption of these goods will only grow, and therefore so will our demand for petrochemicals, accelerating climate change. Carbon transformation reduces emissions from supply chains, closes the carbon loop, and provides a viable pathway to a fossil-free future. Using CO2 in place of fossil fuels in Twelve’s target applications could address nearly 10 percent of global carbon emissions.”
Gründer:innen von Twelve
Assistenzprofessor Tom Jaramillo der Stanford University erklärt hier, dass das tatsächlich funktioniert.
Können kommt vom Tun
Warum hole ich so lange aus: Wir müssen alle viel mehr verstehen und wissen. Aber vor allem müssen wir lernen, die neuen Wege zu gehen. Können kommt von Tun. Wir müssen aufhören, zu erklären und bekehren zu wollen, und anfangen, zu zeigen, indem wir neue Unternehmen bauen, die mit den neuen Ideen zu regenerativen Businessmodellen den anderen zeigen, dass es geht. Wir müssen aufhören, zu denken, wir könnten Politiker:innen bekehren.
Es gibt viele, die es eh schon wissen. Diese müssen wir entsprechend wählen. Die anderen Politiker:innen müssen wir durch Machtdemonstrationen wie Demos (Fridays for Future, bitte macht noch entschiedener weiter) in ihrer Machtbasis angreifen, anstatt mit ihnen zu diskutieren. Sie können nicht anders, weil sie es nicht besser wissen (wollen). Und wissen alleine reicht nicht, wir müssen machen. Und jetzt kommt das ganz Verrückte: Lasst es mich am Beispiel der Landwirtschaft zeigen. Es ist doch merkwürdig, dass viele Ökolandbaubetriebe von Nicht-Landwirt:innen gegründet werden. Und warum “weigern” sich so viele konventionelle Landwirt:innen ökologisch zu wirtschaften? Zum einen wissen diese Landwirt:innen nicht, wie sie ihren Betrieb umstellen können. Sie haben von ökologischer Landwirtschaft keine Ahnung. Ok, aber das lässt sich durch Lesen und Lernen ja verändern. Doch – jetzt kommt‘s: Das EU-Förderungssystem bestraft die Landwirtin, weil sie eine Einkommensreduktion erfährt, wenn sie beginnt, ihren Betrieb umzustellen. Gleichzeitig muss sie investieren.
Es ist ganz simpel. Es fehlt schlicht an Kapital. Wirklich erst klar geworden ist mir dieser Sachverhalt durch diesen fabelhaften TED Talk: The Permaculture Way of Life | Manisha Lath Gupta | TEDxShivNadarUniversity. Manish Lanah Gupta, die sicher zu den Wohlhabenderen Indiens zählt, macht es sehr deutlich in ihrem Appell: Die reichen Städter:innen müssen den Landwirt:innen helfen, die Transformation zu stemmen. Nur diese haben das Kapital, um den viel ärmeren Landwirt:innen in Indien ihre Transformation zu ermöglichen.
Was wir tatsächlich tun können
Auf Frankfurt bezogen würde das bedeuten: Wenn die wohlhabenden Frankfurter:innen regionales biozertifiziertes Gemüse und Fleisch haben wollen, dann geht raus aufs Land. Kauft Bauernhöfe und lasst diese bewirtschaften. Oder findet Wege, wie ihr das Einkommen der Landwirte sichert, während diese auf “Bio” umstellen.
Denn das können wir tatsächlich tun. Ich bin zwar kein Banker, aber meine Vermutung ist, dass es darauf sicher eine bessere Rendite gibt als auf eure Spareinlagen, das Sparbuch oder die Mieteinnahmen.
Und – ja, wir können die Weichen für diese Aktivitäten günstig stellen, wenn wir geneigtere Politiker:innen für solche Ideen wählen statt derer, die den Status quo fortführen wollen, weil sie nicht anders können. Am Sonntag habt ihr die Gelegenheit, die deutsche Klimapolitik für die nächsten Jahre mitzubestimmen. Machen wir die Wahl zur Klimawahl!
Titelbild: Tsvetoslav Hristov, Pexels