Demokratisiert die Organisationen, euren Kindern zuliebe – mit Andrea Schaffar (Sozialwissenschafterin & Organisationsberaterin)

„Wie sollen Menschen in einer Demokratie selbst steuerungsfähig sein und eben auch selbst entscheiden, wenn die Organisationen, mit denen wir zu tun haben, inklusive den Bildungsorganisationen, eigentlich alles Diktaturen sind?“

Wir stecken mitten in einem Generationenwechsel, dessen Konfliktpotenzial sich gerade sichtbar entlädt. Die Babyboomer verabschieden sich in den Ruhestand und hinterlassen uns unzeitgemäße, über-bürokratischen Versorgungs-Apparate. Gleichzeitig entscheiden sie aber noch immer über die Zukunft der jüngeren Generationen.

Das beste Beispiel ist zugleich das traurigste: Unser Schulsystem verschlingt immer mehr Geld und liefert trotzdem immer schlechtere Resultate. Also bürokratisiert man weiter und weiter, bis das System endgültig am Ende ist. Während der Veränderungsdruck in der Wirtschaft schon vor zwanzig Jahren klar spürbar war, mahlen die Mühlen in der Bürokratie langsam. Es ist Zeit für echte Reformen.

Mein Gast: Andrea Schaffar

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Andrea Schaffar lässt sich nicht in eine Schublade stecken – und genau das macht sie aus. Gestartet in der Kommunikationswissenschaft wechselte sie in die Soziologie und ist heute Postdoc an der Uni für angewandte Kunst Wien sowie an der Universität Salzburg. Mit dem Lehrgang Cross Disciplinary Strategies hat sie einen Weg gefunden, ihre vielfältigen Interessen zu verknüpfen und dem gefürchteten Elfenbeinturm an der Uni zu entkommen. Andrea Schaffar ist überzeugt, dass die Forschung ihren Weg in die Gesellschaft finden muss. Darum ist sie seit Jahren auch als Unternehmerin aktiv und nutzt ihr Wissen als Organisationsentwicklerin sowie Gruppendynamikerin. Sie ist außerdem scharfe Kritikerin des Schulsystems und hat das innovative Lernprojekt Lernarena mitgegründet.

Das sind die drei Schlüsselpunkte

1. Agiles Denken ist in der Forschung angekommen.

Zu meiner Studienzeit wurde einem an der Uni noch theoretisch die Welt erklärt. Andrea Schaffar ist überzeugt, dass wir eine neue „Praxis-Theorie“ brauchen. Seit einigen Jahren zeichnet sich ein Paradigmenwechsel in der Forschung ab. Beim Lehrgang Cross Disciplinary Strategies ist das klar erkennbar: „Wir haben den Spieß einfach umgedreht. Es geht nicht mehr darum, in einem Bereich kompetent zu werden, sondern das Kompetente ist, auf die Situation zu schauen und dann zu wissen, wo ich was dazu holen muss, wo ich andere brauche, mit denen ich kooperieren muss.“ Agile goes science!

Für die Wissenschaft ist das ein neuer Zugang zum Erkenntnisgewinn. An die Stelle von Schrebergarten-Denke tritt das cross-disziplinierte Lernen. Den praktischen Mehrwert dieses Zugangs führte Andrea Schaffar mit ihrer eigenen Dissertation zum Wiener Wohnbau vor Augen. Statt sich nur mit theoretischen Problemstellungen des Wohnungsbaus zu beschäftigen, fragte sie soziologisch: „Wie entstehen Communities, wie entstehen soziale, funktionierende Umfelder und Nachbarschaften? Das sind Fragen, die oft gar nicht angeschaut werden.“ Dabei wird es ab diesem Punkt erst richtig spannend!

2. Das Schulsystem hat kein Interesse an Veränderung.

Meine Gesprächspartnerin engagiert sich nicht nur in der Forschung für ein neues Projekt-basiertes Lernen, sondern gründete 2015 auch ein eigenes Schulprojekt, bei dem der Aufbau von Medienkompetenz stark priorisiert war. Dabei war man sich einig, dass klassische Schule falsch strukturiert ist und die Kinder nicht ausreichend auf zukünftige Herausforderungen vorbereitet werden: „Um Menschen zu Medienkompetenz zu begleiten, brauchen sie Freiheit und das funktioniert im bestehenden Schulsystem nicht. Unser Schulsystem versucht, Kompetenzen zu managen. Kompetenz ist aber etwas sehr Individuelles“, findet die engagierte Gründerin klare Worte. Wir wissen längst, dass Gleichmacherei rein gar nichts bringt (dazu hier mehr). Kinder lernen besser, wenn sie selbst gestalten können – das bestätigt sich bei jedem einzelnen unserer Scrum4Schools-Projekte.

Warum ändert sich dann nichts im Schulsystem? Ich behaupte, dass sich das System gar nicht ändern will (vgl. dazu auch diesen Blog-Beitrag und diese Podcast-Episode). An dem aufgeblähten Bürokratie-Apparat hängen eine Menge Versorgungsjobs und Machtverhältnisse, die erhalten werden wollen. Nicht immer zum Wohl unserer Kinder. „Wir haben besonders in Österreich eine extrem paternalistische Kultur. Es gibt immer diese Annahme: Oben weiß man besser als unten, was richtig ist – gerade im Bildungssystem“, so Andrea Schaffar. Dieser Irrglaube fällt uns gerade spektakulär auf den Kopf.

Angesichts der Herausforderungen, vor denen wir stehen, müssten wir den Kindern beibringen, wie Entrepreneure zu denken. Insofern trifft Andrea Schaffar mit ihrer sehr deutlichen Aussage den Nagel auf den Kopf: „Wie sollen Menschen in einer Demokratie selbst steuerungsfähig sein und eben auch selbst entscheiden, wenn die Organisationen, mit denen wir zu tun haben, inklusive den Bildungsorganisationen, eigentlich alles Diktaturen sind?“ Vielleicht braucht es noch mehr Druck auf diese Institutionen, bevor sie wirklich bereit sind, sich zu verändern. Ich bin überzeugt, dass dieser Druck zunehmen wird. Es ist nur eine Frage der Zeit.

3. Wir müssen verlangen können, dass sich die Älteren ändern.

Als ich vor einiger Zeit ein großes Unternehmen beraten habe, war man dort der Meinung, dass wir die jüngeren Führungskräfte resilient gegenüber den älteren machen sollten. Immerhin müssten diese noch 20 Jahre aushalten, bevor sie dann übernehmen können. Hä? Wie soll das denn gehen? Andrea Schaffar sagt ganz richtig: „So funktioniert Sozialisation nicht. […] Es braucht die Jungen, es braucht die Veränderung und es braucht den Rahmen, so etwas zu machen. Man muss auch verlangen dürfen, dass sich Ältere ändern.“

Über den Generationenkonflikt in den Führungsetagen habe ich bereits mit Kathleen Hamilton von Force of Nature ein spannendes Gespräch geführt. Dieser Konflikt zieht sich aber auch in unsere politischen sowie bürokratischen Institutionen, wie Andrea Schaffar bestätigt: „Die Generation, die an der Macht ist, gleicht ihre Perspektive nicht mit anderen ab.“ Stattdessen macht man Klientelpolitik für die, die eben gerade das Sagen haben – und das sind meist eher die älteren Semester. Zukunftsweisende Politik sieht anders aus und sinnvolle Debatten zum Klimawandel, zur Neugestaltung des Schulsystems oder auch zum leidigen Pensionsthema können nur generationenübergreifend geführt werden.

Insofern kann ich meinen Aufruf an die Führungskräfte da draußen (egal ob in der Wirtschaft, Politik oder Verwaltung) nur noch einmal bekräftigen: Sprecht mit jungen Menschen darüber, wie sie die Zukunft gestalten möchten, und holt sie nicht nur ins Boot, sondern setzt für sie um, was sie umgesetzt haben wollen. Lasst euch auf die Veränderungen ein. Das „Schlimmste”, was passieren kann, ist, dass ihr voneinander lernt, die Jungen recht haben und daraus auch eine bessere Zukunft für die Älteren entsteht.


Hört einmal rein in den Podcast und lasst mich wissen, was eure Gedanken sind. Ich freu mich über eure Kommentare!

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Foto-Credits: Luiza Puiu