Deutschland im Rennen um die vernetzte Mobilität – mit Marcel Sonntag und Christian Koch (innocam.NRW)

„Wenn es nur komfortabler wird, allein zu fahren, haben wir viel Potenzial verfehlt. Das Ziel unseres Netzwerks ist, sinnvolle Anwendungen vernetzter Mobilität zu promoten.“

Marcel Sonntag

Flugtaxis, automatisierte Shuttles, Drohnen und natürlich der Klassiker: das vollständig selbstfahrende Auto, das einen im Schlaf bequem ans Ziel kutschiert. Die großen Tech-Player im Silicon Valley wissen, wie sie ihre Ideen verkaufen. Und auch in China beherrscht man dieses Spiel hervorragend.

Und in Deutschland? Hier übt man sich mal wieder in Zurückhaltung. Was nicht heißen soll, dass nichts passiert. Ganz im Gegenteil. Es geht richtig ab, man kriegt nur zu wenig davon mit. Darum habe ich mir zwei New-Mobility-Experten eingeladen, die direkt an der Quelle sitzen. Sie geben einen spannenden Überblick, welche Innovationen auf dem Weg sind und wie diese unsere Mobilität verändern können.

Meine Gäste: Marcel Sonntag und Christian Koch

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Wenn man Marcel Sonntag zuhört, merkt man schnell: Da fühlt sich einer richtig wohl in der Welt der Maschinen und Fahrzeuge. Der Ingenieur forscht im Bereich automatisiertes Fahren an der RWTH Aachen und leitet das Kompetenznetzwerk innocam.NRW. Das Ziel dieses Netzwerks: die Automatisierung der Mobilität in Deutschland, speziell in Nordrhein-Westfalen voranzubringen. Als Projektkoordinator hat Marcel Sonntag Einblick in die neuesten Entwicklungen – und entsprechend Spannendes zu berichten.

Als Berater in der Industrie und dem Public Management weiß Christian Koch, wie man in komplexen Umfeldern zu Lösungen kommt. Er ist Partner und Projektmanager beim Beratungsunternehmen Agiplan und seit 2020 mit an Bord bei innocam.NRW. Dabei erkennt er immer wieder, dass noch jede Menge Aufklärungsbedarf sowohl in den Institutionen als auch in der breiteren Öffentlichkeit besteht. Mit seinen Kontakten zur Industrie und öffentlichen Hand ist es ihm ein Anliegen, das Thema greifbarer zu gestalten.

Das sind die drei Schlüsselpunkte

1. Die Innovationen sind da – bei allen Verkehrsformen.

Denkt man ans automatisierte Fahren, ist im Kopf der Tesla nicht weit. Umso überraschender, dass ausgerechnet Mercedes-Benz mit einem neuen System vorprescht, das automatisiertes Fahren ermöglicht und rechtlich zugelassen ist. Derzeit zwar nur bis 60 km/h auf der Autobahn (im Grunde also ein Staupilot), aber Marcel Sonntag sieht die größten Hindernisse überwunden: „Jetzt werden Daten gesammelt, die Geschwindigkeiten erhöht und dann wird der Betriebsbereich der Fahrzeuge in kürzester Zeit erweitert.“

Was auf der Autobahn schon funktioniert, wird in den Städten aufgrund komplexer Strukturen noch dauern. Die Rolle des Autos im urbanen Raum ist ohnehin fragwürdig. Aber es gibt spannende Alternativen wie automatische Shuttles und Christian Koch rechnet damit, dass sich diese mittelfristig durchsetzen werden. „Die Shuttles werden dann auch für die Verkehrsunternehmen interessant. Diese werden unter Druck geraten und auch über ihre Geschäftsmodelle nachdenken müssen.”

Aber auch auf der Schiene ist der autonome Betrieb auf dem Vormarsch, Stichwort Düsseldorf – automatischer Flughafentransfer. Oder beim Projekt MONOCAB OWL, mit dem innocam.NRW kooperiert. Hier wird eine Einschienenbahn entwickelt, die auf nur einem Gleis in beide Richtungen fahren kann. Gerade im ländlichen Bereich eine große Chance für bessere Anbindung und Auslastung sowie kürzere Intervalle des ÖPNV.

Für dringliche Lieferungen experimentiert man in Aachen übrigens schon länger mit Drohnen. So lassen sich zum Beispiel Medikamente oder medizinische Proben schnell und einfach von A nach B transportieren. Das spart unnötige Fahrten auf der Straße und damit eine Menge CO2. Auch hier stehe man kurz vor der Marktreife, meint Marcel Sonntag.

2. Neue Mobilität, ergo neue Infrastruktur?

Wir müssen das Rad nicht neu erfinden, damit die neuen Technologien funktionieren. Christian Koch bezieht Position: „Wir haben eine Infrastruktur – und die müssen wir nutzen. […] Es gibt noch konventionelle Fahrzeuge, und es gibt automatisierte und teilautomatisierte Fahrzeuge. Das muss alles zusammenspielen.“ Klar ist aber auch: Es braucht massive Investitionen in die bestehende Infrastruktur – und das über die nächsten 10–20 Jahre.

Die Voraussetzung wird sein, eine Basis für das effiziente (und doch im Sinne der Sicherheit redundante) Zusammenspiel von Sensorik und Daten zu schaffen. „Zum einen gibt es den Ansatz, dass die Fahrzeuge alles vollständig autonom mit ihrer eigenen Sensorik regeln. Auf der anderen Seite kann – zumindest in der Theorie – auch alles mittels externer Sensorik gesteuert werden. Der Sweet Spot wird irgendwo dazwischen liegen”, geht Marcel Sonntag näher auf die technische Seite ein.

Dabei lohnt sich zum Beispiel der Blick nach Wiesbaden. „Hier hat man die Ampeln umgerüstet, damit sie das Verkehrsaufkommen erkennen. In einem großen Rechner werden alle Informationen zusammengezogen, um die DNA der Stadt zu ergründen und alles dynamisch steuern zu können. Man sieht, wohin die Reise geht. Nämlich dahin, dass man sagen kann: Wir haben zu viele Autos in der Stadt, wir machen zu”, so Christian Koch.

3. Vernetzte Mobilität ist eine Riesenchance. Nutzen wir sie sinnvoll!

Ja, es ist natürlich toll, was die Autos in naher Zukunft alles können werden. Das ändert aber nichts daran, dass der Individualverkehr die ineffizienteste Form der Fortbewegung ist. Um dringliche Verkehrs- und Klimaprobleme zu lösen, müssen wir bei der Vernetzung auf Stadt- und Kommunalebene ansetzen. Insofern ist der Zugang von innocam.NRW spannend, weil das Netzwerk auf das große Ganze abzielt. „Wenn es nur komfortabler wird, allein zu fahren, haben wir viel Potenzial verfehlt. Das Ziel unseres Netzwerks ist, sinnvolle Anwendungen vernetzter Mobilität zu promoten”, sagt Marcel Sonntag.

Den großen Masterplan gibt es nicht. Aber bei innocam.NRW versucht man, Splitter-Projekte zu vermeiden und den Austausch zu fördern. „Uns ist wichtig, dass man auf den Ergebnissen in Stadt A aufbauen kann, wenn man das nächste Projekt in Stadt B denkt”, so der Ingenieur. Zu diesem Zweck entsteht gerade ein Kompetenzatlas für Nordrhein-Westfalen, der einen Überblick zu den Akteuren und Projekten im Bundesland bieten wird.

Hört einmal rein in den Podcast und lasst mich wissen, was eure Gedanken sind. Ich freu mich über eure Kommentare!

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