Kinder brauchen keine Lehrer:innen, sondern Lernbegleiter:innen – mit Roland Dunzendorfer (Mitgründer des Vereins Colearning)

„Anzunehmen, ein Kind wäre ein weißes Blatt, auf das wir draufschreiben müssten, ist für mich eine falsche Denkweise.“

Ich habe oft den Eindruck, dass Schule nicht für die Kinder, sondern für die Bedürfnisse der Eltern gestaltet ist. Sie wird als eine Art Aufbewahrungsanstalt für den Nachwuchs missverstanden, damit man endlich wieder ein paar Stunden Luft hat. Dass die Kids in der durchgetakteten Schule die Freude am Lernen verlieren, scheint nachrangig zu sein.

Neuere Bildungskonzepte hingegen, die versuchen, das starre Korsett der Schule abzulegen, werden tendenziell mit Skepsis betrachtet. Dabei richten sich diese häufig viel stärker an den Interessen der Kinder aus. Aber es gibt sie, die Leuchtturmprojekte, die erfolgreich einen anderen Weg gehen. Mein Gesprächspartner in dieser Podcast-Folge hat eines dieser inspirierenden Projekte mitgestaltet.

Mein Gast: Roland Dunzendorfer

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Roland Dunzendorfer ist Landschaftsplaner und hat gemeinsam mit weiteren Eltern ein eigenes Lernzentrum gegründet, das zwischenzeitlich im Markhof Wien angesiedelt war. Dieses „Dorf in der Stadt“ war keine Ergänzung zur Schule, sondern eine Alternative und wurde ausschließlich aus privaten Mitteln finanziert. Schon zuvor hatte Roland Dunzendorfer eines seiner Kinder als Freilerner begleitet und viel Zeit in eine interessenbezogene Ausbildung investiert. Über Scrum4Schools ist er schließlich auch mit meiner Kollegin Anna Czerny in Kontakt gekommen, die ihr schon aus dieser Podcast-Episode kennt.

Das sind die drei Schlüsselpunkte

1. Wie gründet man ein Lernzentrum?

Als Roland Dunzendorfer erkannt hatte, dass „normale“ Schule nicht funktioniert (siehe dazu auch mein Gespräch mit Horst Költze), wagte er einen mutigen Schritt. Er nahm seinen ältesten Sohn von der Schule. Im Gespräch mit weiteren Eltern entstand die Idee, ehrenamtlich ein Lernzentrum zu gründen. „Wir wollten, dass Lernen Spaß macht und getrieben von Neugier ist“, erzählt Herr Dunzendorfer. Aus diesem gemeinsamen Bedürfnis entstand ein Verein, der nach mehrmonatiger Ideenfindungsphase mit einer Informationsveranstaltung an die Öffentlichkeit ging. Das Feedback war überraschend. Plötzlich waren 50 Erwachsene mit Kindern da, die ein konkretes Interesse äußerten. Dass zu diesem Zeitpunkt noch viele Fragezeichen im Raum standen, war kein Problem: „Wir haben bei der Präsentation viel falsch gemacht und viele Fragen nicht beantworten können. Aber die Menschen fanden es sympathisch, dass wir das auch offen kommuniziert haben.“

Beflügelt durch das positive Feedback nahm das Projekt Lernzentrum Schritt für Schritt Gestalt an. Dabei erlebte das Team rund um Roland Dunzendorfer einen regelrechten Flow-Zustand. Zwei Wochen vor dem Start war schließlich in letzter Minute auch der passende Ort gefunden und das Lernzentrum konnte seine Türen öffnen.

2. Projektbasiertes Lernen weckt das Interesse der Kinder

Kinder lernen ihre Sprache selbstständig, indem sie beobachten und ausprobieren. Warum nehmen wir ihnen diese natürliche Fähigkeit, indem wir sie in ein Klassenzimmer stecken? Im Lernzentrum Markhof ist es gelungen, diese Dynamik aufzubrechen. An die Stelle des theoretischen Unterrichts trat das projektbezogene Lernen. Wenn ein neues Lernprojekt startete, lud man geeignete Expert:innen aus dem Netzwerk ein. So kam zum Beispiel ein Ingenieur der Wiener Linien vorbei und zeigte den Kindern, wie Kegelschnitte in der Praxis aussehen und was er für den U-Bahn-Bau berechnen muss. Aus einer sonst stinklangweiligen Zeichenübung im Mathe-Unterricht wurde eine spannende Lernerfahrung, bei der die Kinder mit Begeisterung dabei waren.

Inspiriert von Scrum haben Roland Dunzendorfer und seine Mitgründer:innen die richtige Lernmethode gefunden, um Projekte dieser Art aufzubereiten. Scrum bietet einen Rahmen, aber innerhalb dieses Rahmens können die Kinder selbstständig lernen. Dank regelmäßiger Feedbackschleifen ist es auch möglich, die Richtung zu ändern, wenn es nötig ist. „Uns war wichtig, dass das Lernen ein Stück weit am Arbeiten von Erwachsenen dran ist“, erzählt Herr Dunzendorfer. Im Markhof war diese Voraussetzung sowohl inhaltlich als auch räumlich gegeben. Im selben Gebäude gab es einen Co-Working-Space und Projekträume, in denen die unterschiedlichsten Menschen aufeinandertrafen und sich austauschen konnten.

3. Der Lehrberuf braucht eine grundlegende Neubewertung

Klassische Schule basiert auf der Vorstellung, dass Kinder im gleichen Alter das gleiche Wissen haben sollten. Dagegen spricht aber eigentlich alles, was wir heute über Lernprozesse wissen. Ich habe schon in meiner Schulzeit nicht verstanden, wozu ich die Namen der römischen Kaiser auswendig lernen sollte. Und ich weiß auch heute nicht, wie sie alle hießen. Die Gleichmacherei im Schulsystem ist ein verlässlicher „Begeisterungskiller” beim Lernen, was auch Roland Dunzendorfer anspricht: „Anzunehmen, ein Kind wäre ein weißes Blatt, auf das wir draufschreiben müssten, ist für mich eine falsche Denkweise. […] Ich muss herausfinden, was auf diesem Blatt schon alles draufsteht.“

Bei unseren Projekten im Rahmen von Scrum4Schools sehen wir, dass einfach mehr Wissen hängen bleibt, wenn die Kids mit Begeisterung dabei sind – das berichten die Schüler:innen selbst, aber auch die Lehrer:innen. Ähnliche Erfahrungen hat auch Roland Dunzendorfer im Lernzentrum Markhof mit seinem projektbasierten Lernansatz gemacht. Die Sorge, die viele Eltern hatten, dass dabei auch Allgemeinbildung verloren gehen könnte, sieht er als unbegründet. Die Kinder nehmen auch aus der klassischen Schule nur das mit, was sie wirklich interessiert.

Am Ende des Tages geht es wohl den meisten Kids so wie mir mit den römischen Kaisern: Was für mich nicht interessant ist, geht bei einem Ohr rein und beim anderen raus. Aber wenn ich für ein Thema brenne und die intrinsische Motivation habe, etwas darüber zu wissen, dann lernt es sich wie von selbst. Diese Begeisterung zu wecken, ist die zentrale Aufgabe von Lehrkräften. Das Fachwissen selbst ist heute an jeder Ecke verfügbar.


Hört einmal rein in den Podcast und lasst mich wissen, was eure Gedanken sind. Ich freue mich über eure Kommentare!

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