Organisationsentwicklung beginnt beim Menschen – mit Tim-Christian Bartsch (EWE NETZ)

„Organisationales Lernen kann man nicht einkaufen. Diese Erfahrungen müssen die Menschen individuell machen, um als Menschen daran zu wachsen und das Gefühl von Selbstwirksamkeit zu haben.“

Mein Gast: Tim-Christian Bartsch

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Es ist jedes Mal eine Freude, mich mit Tim-Christian Bartsch auszutauschen. Ihr kennt ihn schon aus diesem Podcast, bei dem wir über Kulturarbeit und Führung im Kontext der Energiewende gesprochen haben. Er arbeitet als Leiter des Bereichs Kompetenzentwicklung bei EWE NETZ und beschäftigt sich vor allem mit der Frage, wie Menschen im Unternehmen wirksam werden können. Anschließend an unser letztes direktes Zusammentreffen beim Agile Day, den EWE NETZ im Sommer veranstaltet hat, sprechen wir in dieser Folge über Agilität. Dr. Tim-Christian Bartsch gibt spannende Einblicke, wie es im Konzern um das Thema steht und welche erfolgreichen Schritte die Organisation bereits in Richtung selbstorganisiertes Arbeiten gesetzt hat.

Das sind die drei Hauptpunkte

1. Intrinsische Motivation führt automatisch in einen agilen Modus

„Bei EWE NETZ ist das Wort Agilität nicht weit verbreitet“, erklärt mein Gesprächspartner gleich zu Beginn. Neben dem klassischen 9-to-5-Job und der konventionellen Projektarbeit ist mittlerweile aber ein dritter Modus Operandi entstanden, in dem vieles von den agilen Prinzipien drinsteckt. Tim-Christian Bartsch nennt das „Initiativenarbeit“. Menschen im Unternehmen schließen sich dabei eigeninitiativ ohne hierarchischen Auftrag zusammen, um gemeinsam ein als wichtig empfundenes Thema zu erarbeiten. Das kann der abteilungsübergreifende Podcast zur Fehlerkultur sein oder die Arbeitsgruppe zum Thema Diversity.

Das Spannende daran: Die Initiativenarbeit setzte einen schleichenden Veränderungsprozess im Unternehmen in Gang. „Wir haben jetzt ganze Abteilungen, die Initiativen nutzen, um die konkreten, schwierigen Themen zu bearbeiten. Die Menschen erkennen gerade, dass sie diese dritte Form des Arbeitens auch für sich bei alltäglichen Herausforderungen einsetzen können“, so der Kulturcoach. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Menschen gar nicht anders können. Sobald wir einmal gelernt haben, dass ein bestimmter Prozess nützlich ist, werden wir ihn reproduzieren.

2. Organisationsentwicklung kann man nicht kontrollieren, aber gestalten

Manche Unternehmen glauben immer noch, dass man sich mal eben eine teure Beratung holen kann – und schon läuft die agile Transformation wie geschmiert. Was sie dabei übersehen, ist, dass Transformation in erster Linie ein Lernprozess ist. Tim-Christian Bartsch bringt es auf den Punkt: „Organisationales Lernen kann man nicht einkaufen. Die Menschen müssen diese Erfahrungen individuell machen, um als Menschen daran zu wachsen und das Gefühl von Selbstwirksamkeit zu haben.“ Dazu braucht es im Unternehmen die Möglichkeit, auszubrechen, zu experimentieren und Neues zu erleben.

Tim-Christian Bartsch findet in der biologischen Evolution ein elegantes Muster, um auch diesen sozialen Entwicklungsprozess greifbar zu machen: „Entwicklung braucht Variation. Wie geht das? Indem du einen Podcast hörst, liest, woanders hinfährst, auf eine Konferenz gehst oder was auch immer machst, um etwas anders zu machen“, so der Kulturcoach. „Die zwei anderen Prinzipien sind Selektion und Reproduktion. Wenn du Entwicklung bewusst gestalten willst – denn kontrollieren kannst du sie nicht –, brauchst du eine Idee, was du überhaupt willst. Dann hast du ein Selektionskriterium, mit dem du aus all den Variationen, die da permanent passieren, auswählen kannst.“

3. Selbstorganisation braucht Führung

Wozu also Führung, wenn die Mitarbeiter:innen ohnehin eigeninitiativ arbeiten? Tim-Christian Bartsch hat es mit seinem evolutionären Ansatz bereits angedeutet: Eine zentrale Aufgabe der Führungskraft in einer selbstorganisierten Organisation ist es, eine klare Vorstellung davon zu haben, wo die Entwicklung hingehen soll – Stichwort Selektion. Und sie muss diese Vorstellung, nennen wir sie Vision, glaubwürdig verkörpern können. „Die volle Kraft hast du dann, wenn alle gemeinsam eine Idee davon haben, warum sie da sind“, fasst Tim-Christian Bartsch zusammen.

Wie schafft man das? Bei EWE NETZ hat sich gezeigt, dass es sowohl auf der individuellen als auch auf der Team-Ebene Raum für diese Visionsarbeit braucht. Erst wenn die individuelle Arbeit begonnen habe, macht es auch Sinn, im Team darauf zu blicken. Vor diesem Hintergrund bekommt die eingangs thematisierte Initiativenarbeit ein völlig neues Gewicht. Wenn ich als Führungskraft Mitarbeiter:innen die Ressourcen gebe, eigeninitiativ zu arbeiten und sie dabei unterstützend begleite, dann fördere ich damit nicht nur die individuelle Entwicklung, sondern automatisch auch die Entwicklung des Teams und der Organisation.


Hört einmal rein in den Podcast und lasst mich wissen, was eure Gedanken sind. Ich freu mich über eure Kommentare!

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