„Wir haben einfach gemacht, worauf wir Bock hatten. Später kam dann der Begriff New Work, in dem wir uns bis heute gut wiederfinden.“
Kersten Riechers (quäntchen + glück)
Die Klimakrise zwingt uns, nachhaltige Produkte zu entwickeln und in zukunftsfähigen Geschäftsmodellen zu denken. Dazu braucht es neben Innovation auch ein neues Selbstverständnis von uns Unternehmer:innen. Wir sehen nun schon seit einigen Jahren, dass völlig neue Arten von Organisationen entstehen, die radikal brechen mit bestehenden Konventionen darüber, wie Unternehmen aufgebaut sein sollen – und damit auch Erfolg haben.
quäntchen + glück ist sicher eines dieser Unternehmen. 2010 als klassische Onlineagentur in Darmstadt gestartet, wandelte es sich zur ambitionierten Beratungsagentur. quäntchen + glück unterstützt Unternehmen dabei, Produkte sowie Geschäftsmodelle nachhaltiger zu machen und berät sie zu New-Work-Themen. Für meinen Podcast habe ich mir zwei Persönlichkeiten des Teams eingeladen. Die beiden hatten so viele spannende Insights für mich, dass ich spontan beschlossen habe, eine etwas längere Folge aufzunehmen. Viel Spaß!
Meine Gäste: Kersten Riechers & Anna Groos
Kersten Riechers hat Journalismus in Darmstadt studiert und nebenher mit weiteren Studierenden in Eigenregie ein Onlinemedium auf die Beine gestellt. Erste Anknüpfungspunkte zur Gründerszene fand er in seiner Arbeit für das gleichnamige Berliner Medium, bevor er schließlich quäntchen + glück mitgründete. Auch, weil er keinen Bock auf unbezahlte Praktika und die traditionelle Karriereleiter hatte.
Anna Groos hat ebenfalls Journalismus studiert und bezeichnet sich selbst als „Mit-dabei-Rumhängerin“ in den frühen Phasen, als sich das Gründungsteam rund um quäntchen + glück fand. Nach ersten Erfahrungen in Social-Media-Agenturen erkannte sie schnell, dass sie die Dinge nicht einfach in klassischer Werbemanier bunt anstreichen, sondern etwas Sinnvolles und Nachhaltiges machen wollte.
Das sind die drei Haupterkenntnisse
1. Wer innovativ sein will, muss am Arbeiten arbeiten
Wenn man montags bei quäntchen + glück anruft, hebt keiner ab. Denn Montag ist Schontag. Das Team startet die Woche nicht wie üblich direkt mit der Projektarbeit, sondern widmet sich in einem Barcamp-ähnlichen Format der eigenen Zusammenarbeit. An der Tagesordnung stehen das Projektmanagement, die Wissensvermittlung, Werkschau, Reflexion, Kreativsessions – und alles, was das Team als wichtig erachtet.
quäntchen + glück investiert also einen ganzen Tag pro Woche für die eigene Weiterentwicklung (bei uns passiert das bspw. in unseren Bootcamps). „Wir haben das am Anfang nur für uns selbst gemacht, dass wir an der eigenen Arbeit gearbeitet haben“, erinnert sich Kersten. „Wir haben aber immer gerne erzählt, wie es bei uns im Maschinenraum aussieht. Das hat Menschen und Fragen angezogen.“ Daraus ist ganz nebenbei ein neues und wichtiges Geschäftsfeld entstanden. Das Team berät mittlerweile zu New-Work-Themen und konnte ähnliche Formate wie den Schontag für weitere Unternehmen adaptieren.
„Bis wir zu diesem Schontag gekommen sind, wie er jetzt seit 2018 existiert, hat es sehr viel Schmerz und Anstrengung gebraucht, aber das war das krasseste Teambuilding“, erklärt mir Anna. Der Schontag ist aus einem 8-wöchigen, iterativen Prozess entstanden, hat alle internen Themen aus dem Rest der Woche rausgezogen und damit zu mehr Fokus geführt. Die Teammitglieder haben jetzt von Dienstag bis Freitag die Hände frei und können sich auf die Arbeit mit den Kund:innen konzentrieren.
2. Gibt es ein faires Gehaltsgefüge für ein selbstorganisiertes System?
quäntchen + glück machen auch über den Schontag hinaus vieles anders. An die Stelle von Hierarchien tritt ein autarkes System der Selbstorganisation, in dem jede:r Mitarbeitende von der Akquise bis zum Projektabschluss eigenverantwortlich agiert. Es gibt eine Urlaubsflatrate und man kann selbst festlegen, wie viele Stunden man fix pro Woche arbeiten möchte. 40 Stunden hat hier aber niemand mehr im Vertrag stehen. Wie kommt man zu einem Gehaltsschema für ein System wie dieses? Eine Frage, mit der auch wir uns im Unternehmen bei der Entwicklung unserer Gehaltgilde beschäftigt haben, dazu hier das neueste Whitepaper. Kersten erzählt, wie das bei ihnen gelaufen ist: „Wir haben immer wieder über Geld gesprochen und auch die Gehälter offengelegt. Nach und nach ging es dann um die Frage, was eigentlich ein faires Gehaltsgefüge ist. Das wurde die Leitfrage eines Prozesses, der am Ende ein Jahr gedauert hat.”
Dabei gibt es verschiedene Dimensionen, an die man Gehalt koppeln könnte. Viele Unternehmen orientieren sich an der Marktgerechtigkeit – für quäntchen + glück angesichts Gender Pay Gap und oft ungerechter Verhandlungssituationen keine Option. Ein anderer möglicher Anknüpfungspunkt sind die Lebenserhaltungskosten, was aber durch die hohen Unterschiede zwischen urbanen und ländlichen Räumen kein fairer Parameter sein kann. Ebenso schwierig gestaltet sich die Koppelung des Gehalts an Leistung – denn dazu müsste man erst einmal definieren können, was Leistung überhaupt ist.
quäntchen + glück entschieden sich im Team für das Einheitsgehalt, das je nach vereinbarter Arbeitszeit aliquot berechnet wird und auch die Gesellschafter:innen miteinschließt. Kersten sieht darin die beste Lösung, auf die man sich einigen konnte: „Für mich trifft für das Einheitsgehalt zu, was Churchill sinngemäß auch über die Demokratie gesagt hat. Die Demokratie ist ein schlechtes System, aber immer noch das beste.“
3. Den größten Impact schafft man in kleinen Teams
quäntchen + glück ist ein Unternehmen, das von Nachhaltigkeit und Fairness geprägt ist. Das gemeinsame Arbeiten steht im Mittelpunkt. Das Unternehmen zeigt, dass man Organisationen ganz anders bauen und trotzdem in einem klassisch marktwirtschaftlichen System überleben kann.
Erfolgsentscheidend ist dabei das richtige Team in der richtigen Größe. Als quäntchen + glück noch eine klassische Onlineagentur war, stellte sich ab einem gewissen Punkt auch die Frage der Skalierung. Kersten, Anna und die weitere Kollegschaft haben sich aber bewusst gegen eine Vergrößerung des Teams entschieden. „Wir möchten nicht mehr Menschen werden, als an eine große Tafel passen“, erklärt Kersten. Die Vorteile einer kompakten Teamgröße liegen auf der Hand. Man kann besser kommunizieren und es ist einfacher, ein gemeinsames Selbstverständnis zu kultivieren. Anna sieht die große Gemeinsamkeit des Teams wie folgt: „Was uns vereint, ist unser Menschenbild vom selbstwirksamen Menschen, der gerne in Strukturen unterwegs ist, die er selbst gestalten kann. Das funktioniert nur in einem überschaubaren Rahmen.“
Anna und Kersten sprechen hier etwas an, was mir immer wieder auffällt. Vor allem Gründer:innen, die moderne und damit anders gedachte Organisationen aufbauen, bauen oft von Beginn an eine Wachstumsbremse ihrer Teamgröße mit ein. Diese kompakten Organisationen können anders agieren – schneller, reflektierter, menschlicher und nachhaltiger. Sie sind damit natürlich auch eine Ausnahme, denn in ihnen geht es nicht ums schiere Wachstum oder Profitmaximierung. Die neue Generation der Unternehmer:innen scheint Agile in der DNA zu haben.
Hört einmal rein in den Podcast und lasst mich wissen, was eure Gedanken sind. Ich freu mich über eure Kommentare!
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