Gutes Leben für alle: Nimm dir mehr Zeit für Demokratie! Mit Iris Frey von Attac

„Es braucht viel mehr Engagement und Zeit. Eine 40-Stunden-Arbeitswoche ist nicht vereinbar mit einer zukunftsfähigen Gesellschaft, weil die Menschen überhaupt keine Zeit haben, sich politisch zu informieren und zu engagieren.“

Mein Gast: Iris Frey

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Was ist nötig, um die Politik zum Handeln und gesellschaftliche Veränderung auf den Weg zu bringen? Darüber spreche ich dieses Mal mit Iris Frey, die sich bei der internationalen Bewegung Attac für eine demokratische sowie sozial-, ökologisch- und geschlechtergerechte Gestaltung der globalen Wirtschaft einsetzt. Mit rund 4.000 Mitgliedern in Österreich und zahlreichen Regional-, Inhalts- sowie Querschnittsgruppen hat die Organisation auch hierzulande eine beachtliche Größe erreicht.

Als Campaignerin organisiert Iris Frey Kampagnen, betreut freiwillige Aktivist:innen, plant gemeinsame Aktionen und ist auch in die inhaltliche Arbeit involviert. Das übergeordnete Ziel: unser Wirtschaftssystem umzugestalten, damit ein gutes Leben für alle möglich wird.

Das sind die drei Haupterkenntnisse

1. Die steigende Ungleichheit unterhöhlt unsere demokratischen Systeme

Als ich ein Jugendlicher war, gab es ein Versprechen: Wenn du die Schule machst und fleißig arbeitest, wirst du es zu etwas bringen. Dann eskalierte der Ost-West-Konflikt, vor dem ich und viele weitere Jugendliche eine Riesenangst hatten. Wir gingen in Deutschland auf die Straße – mit mäßigem Erfolg. Die Raketen wurden stationiert, die Atomkraftwerke trotzdem gebaut (außer in Österreich). Das Versprechen, dass wir uns etwas aufbauen und unsere Lebensverhältnisse verbessern können, war noch intakt, aber es bröckelte bereits.

Heute sei dieses Versprechen nicht mehr glaubwürdig, meint Iris Frey – auch wenn es jungen Menschen eigentlich an nichts fehle: „Ja klar, sie haben natürlich alles. Aber sie haben nicht mehr diese Perspektive, irgendwohin zu kommen, etwas aufzubauen.“ Sogar in einem reichen Land wie Österreich geht die Schere zwischen Arm und Reich drastisch auseinander. Das reichste Prozent besitzt rund die Hälfte des Gesamtvermögens. Das ist nicht nur für junge Menschen desillusionierend, sondern gefährlich für die Demokratie als Ganzes. „Geld bedeutet nicht nur, dass ich mir etwas kaufen kann, sondern ermöglicht auch politischen und gesellschaftlichen Einfluss. [Anm.: Ein aktuelles Beispiel bestätigt das. Elon Musk hat den Nachrichtendienst Twitter gekauft. Er hat also die Mittel, um ein Kommunikationsmonopol zu errichten.] Ich kann die Gesellschaft und Politik gewissermaßen steuern. […] Das erzeugt eine demokratische Schieflage im System“, erklärt Iris Frey.

Wenn wir die Fridays for Future Generation wirklich verstehen wollen, dann müssen wir uns auch ihre wirtschaftlichen und lebenspraktischen Perspektiven ins Bewusstsein rufen. Diese sind nämlich anders als bei den Babyboomern, die gerade an den Schalthebeln der Macht sitzen. Die Generation Greta kann sich – trotz Wohlstand – nicht mehr auf dem Narrativ des Wachstums ausruhen. Wie wir seit ein paar Monaten wissen, ist diese Illusion endgültig vorbei. Die Inflation steigt, die Energiekosten heben ab und wir alle werden den Umbau der Wirtschaft sehr teuer bezahlen müssen. Darum ist die Generation Z politischer als die Generationen davor. Das ist gut so – und wir sollten ihnen dabei helfen, neue Wege zu finden.

2. Protest organisiert sich crossfunktional und agil

In meiner Podcast-Folge mit Kathleen Hamilton von Force of Nature haben wir über Eco-Anxiety gesprochen. Die Klimaproblematik ist so komplex, dass es schwer sein kann, individuell geeignete Möglichkeiten zu finden, um sich zu engagieren. Ähnliches gilt auch für andere gesellschaftliche Fragen. Iris Frey ist sich dessen bewusst: „Man sollte nicht den Anspruch haben, das alles allein zu stoppen. Es gibt global viele Menschen, die zusammenhelfen.“ Um die passende Rolle zu finden, bietet Attac u. a. ein Praxissemester für Studierende, bei dem man in die aktivistische Arbeit hineinschnuppern kann. Die Organisation setzt also gezielt auf (Bewusstseins-)Bildung, um den Menschen zu zeigen, dass sie etwas tun können, und die dafür nötigen Skills zu vermitteln.

Wer aktiver eingreifen will, hat viele Möglichkeiten, lernen wir von Frau Frey. Es brauche die Frontline-Kämpfer:innen, die Sitzblockaden machen und keine Berührungsängste mit der Polizei haben, aber auch Menschen, die eine Infrastruktur bei Protesten aufbauen. Es brauche Personen, die emotionalen Support geben, und Leute, die netzwerken, in der Öffentlichkeit auftreten und gut kommunizieren können. Aktivismus kann nur dann etwas bewirken, wenn viele Menschen mit unterschiedlichsten Fähigkeiten zusammenarbeiten.

Was ich dabei spannend finde: Eine Organisation wie Attac besteht zum größten Teil aus Freiwilligen, die aus einer intrinsischen Motivation heraus handeln. Das kann man nicht zentral koordinieren. Muss man aber auch nicht, wie Iris Frey aufzeigt: „Wir als Büro stellen gerne Ressourcen zur Verfügung. Wenn jemand eine Aktion plant, dann würde ich als Campaignerin zum Beispiel sagen: Okay, ihr könnt gerne bei uns vorbeikommen und ein Banner malen. Wir haben die Farben und alles, was ihr dazu braucht.“

3. Menschen brauchen mehr Zeit, um sich demokratisch zu engagieren

Ein faires und demokratisches Miteinander steht bei Attac ganz oben auf der Agenda. Aber was bedeutet Demokratie für Attac überhaupt? Iris Frey versteht darunter mehr als nur das Kreuzchen, das wir alle paar Jahre auf dem Stimmzettel machen: „Für mich ist Demokratie weiter gefasst. Es braucht viel mehr Engagement und Zeit. Eine 40-Stunden-Arbeitswoche ist nicht vereinbar mit einer zukunftsfähigen Gesellschaft, weil die Menschen überhaupt keine Zeit haben, sich politisch zu informieren, zu engagieren.“

In der Regel habe ich aber einen Einkommensverlust, wenn ich statt 40 nur mehr 20 Stunden pro Woche arbeiten gehe. Rein wirtschaftlich gesehen wären einmal mehr jene Menschen im Vorteil, die sich eben nicht demokratisch beteiligen. Iris Frey sieht die Lösung für dieses Dilemma in einer groß angelegten Umverteilung: „Es muss einen Ausgleich für untere Einkommen geben, aber auch eine Einkommensobergrenze für Manager:innen. Die Arbeitsproduktivität ist in den letzten Jahren laufend gestiegen, aber die Löhne sind nicht proportional mitgewachsen. Der Mehrwert wird von den Unternehmen abgeschöpft.“

Aber ist so etwas überhaupt realistisch? Immerhin gibt es Firmen, die reicher sind als ganze Staaten. Trotzdem haben wir gesehen, wie eine globale Bewegung junger Menschen innerhalb weniger Jahre unseren Diskurs völlig verändert hat. Daraus kann noch viel mehr entstehen. Organisationen wie Attac leisten dabei einen wichtigen Beitrag.

Hört einfach mal rein in den Podcast, wenn ihr mehr darüber erfahren wollt, wie eine NGO wie Attac arbeitet und worauf es ankommt, wenn man sich aktivistisch und demokratisch engagieren möchte. Ich bin gespannt, was ihr dazu denkt.

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Von Attac