Befreien wir die Schule aus dem Prüfungswahnsinn! Podcast mit Philipp Schulte (Carl-Severing-Berufskolleg für Wirtschaft und Verwaltung)

„Wenn Schüler:innen plötzlich sagen: Meine Aufgabe ist erledigt, ich nehme mir selbst eine neue – dann hat man als Lehrkraft das gute Gefühl, dass man auf dem richtigen Weg ist.“

Schule wird in Deutschland (und auch in Österreich) technisiert, bis der Arzt kommt. Aber statt die Schmerzpunkte endlich an der Wurzel anzugehen, bürokratisiert man einfach weiter. Kein Wunder, dass sich ambitionierte Lehrkräfte an diesem System regelmäßig die Zähne ausbeißen. Bleibt also nur die Resignation oder das Burn-out? Es geht auch anders.

Meine Kolleg:innen Anna Czerny und Laura Vollmann-Popovic haben einen Teilbereich des Carl-Severing-Berufskolleg für Wirtschaft und Verwaltung in Bielefeld mit Scrum4Schools begleitet. In dieser Podcast-Episode spreche ich mit dem Bildungsgangleiter darüber, welche Veränderungen auch im klassischen Schulsystem möglich sind – und wie sich damit der Unterricht verbessern lässt.

Mein Gast: Philipp Schulte

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Wer Veränderung will, muss sie auch anstoßen. Philipp Schulte ist Bildungsgangleiter am Carl-Severing-Berufskolleg für Wirtschaft und Verwaltung in Bielefeld und lebt mit seinen Kolleg:innen neue agile Formen der Zusammenarbeit. 250 Schüler:innen machen hier das Fachabitur. Philipp Schulte hat sichtbar Spaß daran, diese jungen Menschen in ihrer Entwicklung zu begleiten. Um ihnen ein freudevolles Lernen zu ermöglichen, geht er mit seinem Team mutig auch unkonventionelle Wege und kämpft seit Jahren für bessere, agilere Strukturen im Lehrbetrieb.

Das sind die drei Hauptpunkte

1. Viel zu viel Druck für wenig aussagende Noten

Schule erzeugt einen Wahnsinnsdruck. Nicht der Lernstoff, sondern das Bewerten stresst sowohl Schüler:innen als auch Lehrer:innen. Alleine das Testieren ist ein gigantischer (und völlig unnötiger) Verwaltungsaufwand. „Der Druck kommt durch die Noten. Letzten Endes arbeiten alle darauf hin, die Zahlen ins Zeugnis einzutragen“, so Philipp Schulte.

Und wozu der ganze Aufwand? Für nichts und wieder nichts. Kein Mensch wird sich so ein Zeugnis je wieder ansehen und die Noten sagen auch nichts über Kompetenz aus. Der Bildungsgangleiter trifft den Nagel auf den Kopf: „Ich glaube, dieser Druck erzeugt ein Wissen, das gar nicht erstrebenswert ist. Ein Punktwissen, das man dann einfach vergisst.”

Die ersten Erfahrungswerte mit anderen Ansätzen bestätigen, dass die Benotung kein verlässlicher Indikator für den Lernerfolg ist. In der IGS Süd zum Beispiel, einer neuen Schule in Frankfurt Sachsenhausen, gibt es gar keine Noten – ohne nennenswerte Auswirkungen auf die zentralen Abschlussprüfungen. Die Leistungen waren identisch wie in klassischen Schulen.

Am Carl-Severing-Berufskolleg versucht man, den Druck zu verringern: „Unsere Idee war es, im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten weniger Klausuren zu schreiben und die Leistungen, die wir aufnehmen müssen, anders zu bewerten“, erzählt Philipp Schulte. Und es funktioniert. Letztlich auch darum, weil erlebbar ist, welche Entlastung das für alle Beteiligten bringt.

2. So gelingt agile Zusammenarbeit in Lehrer:innen-Teams

Das Schulsystem ist nicht nur ineffizient, sondern auch destruktiv. Ich behaupte, dass dieser Bürokratieapparat die Zusammenarbeit verhindert. Philipp Schulte und sein Team haben sich unter Begleitung von Scrum4Schools daher ihr eigenes kleines Arbeitsmodell gebaut, mit dem sie ihre Aufgaben voranbringen.

„Wir haben erstmal konkret aufgeschrieben, welche Aufgaben in unseren Bereich fallen, wiederkehrende Tasks zusammengefasst und alles auf einem Kanban-Board organisiert“, erinnert sich der Bildungsgangleiter. Dabei definierten die Teammitglieder ihre Stärken bzw. Verantwortungen und schafften eine gemeinsame Erwartungshaltung an die Zusammenarbeit.

Ganz im Sinne von Scrum traf man sich regelmäßig zur Abstimmung im Weekly. Wie kommen wir voran? Welche Aufgaben stehen an und was kann von wem bis wann erledigt werden? Besonders die Fälligkeitstermine waren im Schulkontext eine Neuerung (abseits der Prüfungstermine). Um diese Fristen einzuhalten, übernahm eine Person im Team die Rolle des ScrumMasters.

Plötzlich verfeinerte sich die Struktur automatisch und meine Kolleg:innen von Scrum4Schools bemerkten, dass sie das Team nun alleine machen lassen können. Philipp Schulte zieht Bilanz: „Mir persönlich geht es besser und auch dem Team, so die Rückmeldung. […] Das sieht man im Umgang miteinander, aber auch darin, was wir voneinander erwarten und wie wir miteinander arbeiten können.“

3. Die Zukunft der Schule: selbstgesteuertes Lernen.

Wenn Scrum einmal läuft, läuft auch die Transformation. Nachdem Philipp Schulte und sein Team Agilität im kleinen Rahmen erlebt hatten, war es für sie nur logisch, im Unterricht dasselbe zu tun. Warum nicht auch mit Kanban-Boards und Scrum lernen? Die Resultate sprechen für sich: „Wenn Schüler:innen plötzlich sagen: Meine Aufgabe ist erledigt, ich nehme mir selbst eine neue – dann hat man als Lehrer das gute Gefühl, dass man auf dem richtigen Weg ist“, so Philipp Schulte.

Aber agiles Lernen hört nicht im Klassenzimmer auf. Das Carl-Severing-Berufskolleg geht gerade den nächsten Schritt und bereitet einen Schul-Hackathon vor. Gemeinsam mit Schüler:innen der 11. Klassen geht es für eine Woche ins Design Thinking. Zur Debatte steht nichts Geringeres als die Zukunft der Schule. Philipp Schulte hat schon eine Idee, in welche Richtung es gehen kann: „Die Schüler:innen-Beteiligung in die Mitte zu stellen – das kriege ich aus meinen Gedanken nicht mehr raus.“

Das Carl-Severing-Berufskolleg ist ein tolles Beispiel dafür, was alles möglich ist. Wir brauchen keine Noten und schon gar nicht diese absurde Bürokratie. Was wir brauchen, sind junge Menschen, die selbstgesteuert lernen können. Dazu müssen wir die Strukturen ändern und Scrum kann auch im Schulkontext den Stein ins Rollen bringen. Probiert es aus! Meine Kolleg:innen von Scrum4Schools beantworten gerne eure Fragen.


Hört einmal rein in den Podcast und lasst mich wissen, was eure Gedanken sind. Ich freue mich über eure Kommentare!

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