Wie funktioniert solidarische Landwirtschaft, Lorenz Glatz (Ouvertura)?

„Wir lösen das Problem, dass sich Menschen das Lebensmittel nicht leisten können, indem wir sagen: Nein, wir wollen keinen Preis. Du trägst bei, was du kannst.“

Lorenz Glatz
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Man hat uns von klein auf eingetrichtert, dass Wirtschaft Wachstum bräuchte und der Markt sich selbst regeln würde. Nur ist unendliches Wachstum ein Paradoxon und die unsichtbare Hand des Marktes hat sich längst als Langfinger entpuppt. Vor dem Hintergrund von sozialer Ungerechtigkeit und einer drohenden Klimakatastrophe sind die Mechanismen der Marktwirtschaft, wie wir sie kennen, grundsätzlich zu hinterfragen.

Als Mitglied der solidarischen Landwirtschaft Ouvertura erlebe ich gerade meine persönliche Agrarwende und sehe, wie man grundlegend anders – fairer und nachhaltiger – wirtschaften kann. In dieser Podcast-Folge spreche ich mit einem Gründungsmitglied der Solawi darüber, wie das funktioniert und was wir daraus für die Zukunft lernen können.

Mein Gast: Lorenz Glatz

Lorenz Glatz ist gelernter Physiker und Teil der Wiener und internationalen Hightech-Szene. Als CTO von Kabel Deutschland verantwortete er zuletzt die gesamte Technik beim größten deutschen Kabelfernsehunternehmen. Seit etwa zehn Jahren engagiert er sich in der solidarischen Landwirtschaft und hat mit der Solawi GeLa Ochsenherz die erste ihrer Form in Österreich mitgegründet. Er ist außerdem Gründungsmitglied und Kassier des Vereins Ouvertura, einer Solawi, die ihre Felder in Moosbrunn in der Nähe von Wien hat. Er hat daneben auch die Munus Stiftung mitbegründet. Die zentrale Frage, die sich für ihn stellt: Wie können wir unser Wirtschaften verändern, um einen Ausgangspunkt für eine bessere, nachhaltigere und solidarische Zukunft zu schaffen?

Das sind die drei Hauptpunkte

1.     Solawis lösen globale Probleme im kleinen Rahmen

Das Grundprinzip der solidarischen Landwirtschaft ist denkbar einfach. Statt Kundschaft ist man Mitglied und verpflichtet sich für ein Jahr, einen Anteil an der Ernte zu übernehmen und dafür einen Mitgliedsbeitrag zu leisten. Bei einer guten Ernte habe ich mehr Auswahl, bei einer schlechten weniger. Damit muss ich klarkommen. Dadurch passiert etwas Wesentliches: „Das Ausfallrisiko übernimmt die Person, die das Lebensmittel isst, nicht der Landwirt“, erklärt Lorenz Glatz. Die anfallenden Produktionskosten für das gesamte Erntejahr werden im Vorhinein gedeckt.

Während sich manche Solawis über fixe Mitgliedsbeiträge finanzieren, geht Ouvertura einen anderen Weg, wie Lorenz Glatz näher erläutert: „Wieso sollen Menschen, denen es finanziell nicht so schlecht geht, genau so viel beitragen wie die alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern? Das ist eigentlich nicht einzusehen.“ Als Mitglieder bestimmen wir daher selbst, wie viel wir beitragen können. Es gibt keinen fixen Preis, sondern nur die zu deckenden Jahreskosten (Gehälter, Sprit für Traktoren usw.), für die wir gemeinsam aufkommen müssen. Damit geht die Solawi ein globales Problem im kleinen Maßstab an: „Wir lösen auf, dass sich Menschen das Lebensmittel nicht leisten können, indem wir sagen: Nein, wir wollen keinen Preis. Du trägst bei, was du kannst.“

Aus einer marktwirtschaftlichen Perspektive heraus klingt das zunächst irrwitzig. Bei Ouvertura funktioniert dieser Zugang aber seit 5 Jahren, weil die Solawi in ihrer Mitgliederzahl überschaubar strukturiert ist. Man redet miteinander, man kennt sich. Durch die Kleinteiligkeit werden Dinge möglich, die am Markt undenkbar sind.

2.     Kann man Gehälter bedarfsbezogen festlegen?

Klassisch marktorientierte Unternehmen wollen Produkte so teuer wie möglich verkaufen. Um hohe Margen zu erzielen, müssen in der Regel die Gehälter möglichst gering gehalten werden. Auf der anderen Seite streben auch Angestellte danach, mit möglichst wenig Arbeitszeit ein möglichst hohes Gehalt zu bekommen. Lorenz Glatz ortet darin eine “Tauschgegnerschaft”, die Ouvertura aufzulösen versucht: „Wir haben experimentell begonnen, die Seite der Arbeit unter dieselbe Prämisse zu stellen wie die Seite der Mitgliedschaft. Was sind meine Bedürfnisse? Wie viele Stunden kann ich beitragen? Was brauche ich, um davon zu leben?“

Es gibt bei uns Kolleg:innen, die im Sommer mehr Zeit haben, aber weniger Geld brauchen. Bei anderen ist es umgekehrt. Die beispielhaft angesprochene alleinerziehende Mutter hat weniger Zeit zur Verfügung, muss aber mehr Geld verdienen, um ihre Kinder zu versorgen. Diesen unterschiedlichen Lebensumständen versuchen wir mit einer flexiblen, bedarfsbezogenen Gehaltsregelung Rechnung zu tragen.

Wir wissen zwar noch nicht, ob das auf Dauer funktioniert. Aber es zeigt sich schon jetzt, dass es wertvoll ist, diese Fragen zu stellen. Lorenz Glatz sieht darin einen wichtigen Schritt aus der marktwirtschaftlichen Dynamik heraus: „Das passiert nicht mehr im Korsett der Shareholder-Value-Maximierung, sondern im Interesse der Nachhaltigkeit, des Artenschutzes, der Vielfalt, der Regionalität. […] Das Geld ist nur noch das notwendige Übel, aber nicht mehr der Fokus.“

3.     Das Modell der Solawis kann Vorbild für eine solarbasierte Energiewende sein

Im Gespräch mit Timo Wans erzählte mir der Gründer von MYZELIUM, wie auch nicht-landwirtschaftliche Unternehmen das Modell der Solawis für sich adaptieren können. Ich sehe zum Beispiel großes Potenzial, eine solarbasierte Energieversorgung nach Solawi-Gesichtspunkten aufzubauen. Statt vom Kraftwerk kommt der Strom vom eigenen Dach und wird direkt dort verwendet, wo er gebraucht wird. Durch die gemeinschaftsbasierte Produktion und Verwertung in Siedlungen oder ganzen Gemeinden kann Energie bedarfsspezifisch regional verteilt werden.

Mit seiner Expertise im Infrastrukturaufbau kommt Lorenz Glatz zu einer ähnlichen Erkenntnis: „Es muss im Massenumfang demokratisiert werden. Große Windparks oder Solarfarmen sind nicht der Weisheit letzter Schluss […] Die Lehre aus der Solawi für mich ist, dass es kleinteilig und unter lokaler Verantwortung sein muss.“ Dazu müsse aber auch das Land und die Infrastruktur in allgemeiner Hand sein, also nicht in staatlicher, sondern in der Hand der Menschen, die dieses Land auch nutzen.

Ich kann euch empfehlen, einfach mal eine Solawi in eurer Gegend anzusehen und es auszuprobieren. Allein in Österreich gibt es mittlerweile über 50 davon und es werden immer mehr. Wenn ihr im Wiener Raum wohnt, sei euch Ouvertura ans Herz gelegt. Ihr könnt damit selbst etwas Wichtiges zum nachhaltigen Umbau unserer Wirtschaft beitragen – und ganz nebenbei bekommt ihr Lebensmittel in einer Qualität, wie ihr sie sonst kaum finden werdet.

Hört einmal rein in den Podcast und lasst mich wissen, was eure Gedanken sind. Ich freue mich über eure Kommentare!

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