„Ein Team ist nur ein Team, wenn es das gleiche Ziel hat. Ob das ein 90-Minuten- oder ein Drei-Monate-Team ist, ist egal. Wenn dann eine Person dabei ist, die das nicht will, dann braucht sie eine andere Aufgabe. Führungskräfte haben oft Angst, das auszusprechen, aber wer nicht mitmachen will, braucht ein anderes Ziel.“
Boris Gloger
Mein Interviewer
Stefan Roock von der it-agile habt ihr schon in zwei früheren Podcast-Folgen kennengelernt, in denen wir über Agilität und Nachhaltigkeit gesprochen haben (“Wie retten wir das Klima, Stefan Roock?” und “Agilität und Nachhaltigkeit”). Diesmal interviewt Stefan mich. Wir sprechen über die Veränderungen, die bei uns im Unternehmen anstehen und wie wir als Organisation damit umgehen. Vor allem geht es um Transparenz, Entscheidungsfindung und wie wir Themen, die immer wieder auftauchen, neu angehen.
Wenn ich von dem Unternehmen borisgloger spreche, meine ich die agilen Beratungsunternehmen borisgloger consulting in Deutschland und borisgloger professionals in Österreich. Trotz der rechtlichen und geografischen Trennung arbeiten wir der Marke und dem Gemeinschaftsgefühl nach wie ein Unternehmen.
Literaturempfehlung und Richtigstellung
Als ich über das Buch „Leadership for Sustainability: Strategies for Tackling Wicked Problems“ von R. Bruce Hull gesprochen habe, habe ich von Leadership mit Hilfe von Commitment, Collaboration und Direction gesprochen. Eigentlich muss es heißen: Kollaboration findet statt, wenn Direction, Alignment und Commitment (DAC) funktionieren. Hull beschreibt diesen Ansatz in dieser Podcast-Folge.
Die 3 Hauptpunkte
1. Wir wollen Consulting vom Reisen entkoppeln
Wir bei borisgloger wollen aus Klimagründen keine Ziele mehr anfliegen, die in bis zu vier Stunden mit dem Zug erreichbar sind. Generell versuchen wir, unsere Reisen auf das Sinnvoll-Notwendige zu beschränken und öfter einmal zu fragen: Muss ich bei diesem Termin wirklich dabei sein? Oder: Geht das auch remote? Aber auch aus einem noch greifbareren Grund wollen wir unsere Arbeit so weit wie möglich vom Reisen entkoppeln: Schon seit sechs Jahren finden wir immer weniger Bewerber:innen, die bereit sind, so viel zu reisen, wie es der Job verlangt. Eine neue Strategie musste her: Wir fingen an, den Bewerber:innen zu versprechen, mehr Projekte in der Nähe ihrer Wohnorte zu finden. Was funktionierte: Wir kriegten mehr Leute. Was weniger gut funktionierte: das Projektefinden.
Dann kam vor über einem Jahr die Zäsur, die ich nicht zu erklären brauche. Da haben wir festgestellt, dass die Remote-Arbeit und Remote-Beratung kein Problem sind. Wir haben Menschen eingestellt, die noch niemanden von den Kolleg:innen physisch getroffen haben und trotzdem sagen, sie fühlen sich vollkommen aufgenommen. Wir haben also gezeigt, vor allem uns selbst, dass wir als verteiltes Unternehmen voll funktionsfähig und in der Lage sind, uns gegenseitig zu unterstützen.
Das heißt aber nicht, dass der Ausbau der Standorte unwichtiger geworden ist. Denn wir werden auch in Zukunft immer zu irgendwelchen Terminen doch anreisen müssen. Wir konzentrieren uns jetzt sogar noch mehr darauf, aus den Standort-Teams autonome Microenterprises zu machen (siehe Seite 8 und folgende im Nachhaltigkeitsbericht).
2. Die Kolleg:innen sollen ihre Gehälter bestimmen
Früher kamen meine Kolleg:innen zu mir und wollten ihre Gehälter verhandeln. Aber als wir wuchsen, konnte ich das nicht mehr stemmen und wohl fühlte ich mich dabei auch nicht. Dieser klassische Gehaltsprozess passte einfach nicht zu uns. Die erste Lösung war: Alle bestimmten ihr eigenes Gehalt. Nur wenn jemand ganz daneben lag, griff ich ein, sonst nicht.
Aber leider passte das mit dem deutschen Arbeitsrecht nicht zusammen. Um den partizipativen Gehaltsprozess zu behalten, hat sich die Gehaltsgilde zusammengetan, die einen Prozess entwickelt hat, bei dem es nicht nur um Gehalt, sondern auch um Entwicklung und Selbstreflexion geht. Einmal im Quartal evaluiert jede:r Kolleg:in die eigene Entwicklung und das eigene Entwicklungspotential und bespricht das Ergebnis mit dem Team oder ausgewählten Kolleg:innen. Es ist eine kollegiales Mitarbeiter:innengespräch, das regelmäßiger stattfindet als klassische Jahresgespräche sowie mehr auf Augenhöhe und wirklich auf die Entwicklung bezogen ist. Diese Selbstreflexion und das Feedback der Kolleg:innen fließt dann in das jährliche Treffen der Gehaltsgilde ein. Diese wird ständig weiterentwickelt (von der „Gehaltsgilden-Gilde“) und jedes Jahr nach paritätischen Prinzipien (Geschlecht, Zugehörigkeitsdauer, Consulting-Level etc.) neu zusammengesetzt.
3. Wir wollen mit Soziokratie zu transparenteren Entscheidungen kommen
Als ich vor zwei Jahren versuchte, Soziokratie einzuführen, bekam ich zu hören: „Warum denn das jetzt? Wir machen doch schon alles richtig.“ Abgesehen davon, dass wir natürlich nicht alles richtig machten, gab es Themen, die einfach immer wieder aufkamen und ganz egal, wie oft sie diskutiert wurden, nie geklärt waren, z. B.: Wer darf was entscheiden? Wer darf Entscheidungen treffen, die jemand anderen betreffen könnten?
Der Grundsatz lautet: Jede:r darf entscheiden, was er oder sie sich zu entscheiden zutraut. Man muss nur eine zweite Person konsultieren (konsultativer Einzelentscheid), aber entscheidet am Ende selbst. Wer ein iPad braucht, soll zumindest mal mit IT sprechen und fragen, ob noch eines auf Lager ist, wo er oder sie das iPad am besten herkriegt oder ob es einen etablierten Bestellprozess gibt.
Aber leider führt diese Regel immer wieder zu Verwirrungen wie dieser: „Wenn ich selbst entscheide, dann sagt mir im Nachhinein jemand, dass das keine gute Entscheidung war.“ Ich muss doch sagen können: „Ich halte das für eine schlechte Entscheidung.“ Trotzdem lasse ich sie zu.
Aber was ist mit den Entscheidungen, die alle betreffen, beispielsweise zum Unternehmensfokus oder zur Außenkommunikation? Gerade sind wir dabei, herauszufinden, welche Entscheidungen das sind, von welchen „Kreisen“, wie es in der Soziokratie heißt, sie bisher getroffen werden (können) und wie eine soziokratische Entscheidungsfindung in diesen Kreisen funktionieren kann.
Der Führungskreis besteht aktuell aus mir, zwei Executive Consultants, dem Chief Product Owner und dem Chief ScrumMaster. Dann haben wir Product Owner (PO), die ihre Teams inhaltlich führen. PO wird man, indem man eine Idee pitcht und andere findet, die mitmachen wollen. Die Wahl des ScrumMasters (SM) handhabt jedes Team individuell. Die POs und die SMs aller Teams stimmen sich regelmäßig in eigenen Kreisen ab.
Mit der Soziokratie führen wir nun die „doppelte Kopplung“ ein. Das heißt, die unteren Kreise schicken eine Vertretung in den nächsthöheren Kreis. Also: Der ScrumMaster-Kreis, der Product-Owner-Kreis und das HUB (Backoffice) bestimmen jeweils eine Vertretung für den Führungskreis, die dort mitentscheiden darf.
Hört einfach ‘mal rein, wenn ihr wissen wollt, wie man bei uns zur Führungskraft wird, warum ich mir dafür einen transparenteren Prozess wünsche und wie lange es tatsächlich dauert, bis eine neue Initiative wie die Gehaltsgilde „fliegt“. Ich bin gespannt auf eure Kommentare.