„Politischer Mut, etwas zu wagen, ist zentral. Wir müssen von der Haltung wegkommen, dass man keinem etwas zumuten könne, weil man sonst abgewählt würde. Die Gesellschaft ist an manchen Stellen schon weiter, als die Politik glaubt.“
Mein Gast: Dr. Reinhard Loske
Im letzten Sommer ist ein empfehlenswerter Artikel in der FAZ erschienen. Der Titel: Gestaltet das Bauen! Der Autor dieses Beitrags ist Dr. Reinhard Loske, den ich gleich zu meinem Podcast eingeladen habe. Er ist in Westfahlen auf einem Bauernhof aufgewachsen und hat schon mit 16 Jahren einen Naturschutzverein gegründet. Nach seiner Bankenlehre begann er, Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaft zu studieren. Er hat das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie gemeinsam mit anderen aufgebaut und ist schließlich 1998 für das Bündnis90/die Grünen als Abgeordneter in den Bundestag eingezogen. Ab 2007 war er Senator für Umwelt, Bauen, Verkehr und Europa der Freien Hansestadt Bremen. Die Kraft, die ihn antreibt, ist die Zuversicht.
Das sind die drei Haupterkenntnisse
1. Das Einfamilienhaus auf der Wiese kann nicht mehr das Leitbild sein
Wenn man sich vor Augen führt, dass 40 % der Emissionen allein im Gebäudesektor entstehen, ist klar: Die Baubranche ist beim Klimaschutz besonders gefordert. Das Plädoyer von Dr. Loske ist genauso klar: „Wir müssen uns am Bestand orientieren und diesen Bestand so umbauen, damit er Nachhaltigkeitskriterien genügt – energetisch, stoffstrommäßig und baustoffmäßig.“
Die Realität sieht aber (noch) ganz anders aus: Die Baubranche ist auf den Neubau ausgerichtet. Das bedeutet: Flächenversiegelung im gigantischen Ausmaß. Allein in Deutschland werden momentan 60–70 Hektar Boden am Tag verbaut. Dabei stehen viele Gebäude und Wohnungen leer und warten auf ihre zweite Chance. Meistens fehlen aber Fachkräfte, die wissen, wie man das angeht. Wenn ich mir eine PV-Anlage aufs Dach packe, die neueste Wärmepumpe und vielleicht auch noch einen Speicher einbauen möchte, dann müssen diese auch integriert zusammenwirken. Stichwort: Schnittstellenproblematik.
Damit es hier vorangeht, „braucht es bei den Architekt:innen eine Neuorientierung in Richtung Bestandsentwicklung“, erklärt Dr. Loske. Dazu muss man sich auch einmal die Curricula ansehen und darüber hinaus bei den Fachkräften mehr auf Qualifizierung setzen. Das wird mittelfristig auch nicht ohne Fachkräftezuwanderungen gehen. Letztlich sind aber auch wir als Gesellschaft gefordert, unsere Wohnformen zu überdenken: Das eigene Haus, das man neu für sich und seine Familie auf die Wiese stellt, ist ökologisch gesehen nicht mehr zeitgemäß.
2. Wir müssen die Agrarpolitik vom Kopf auf die Füße stellen
Ich bin davon überzeugt, dass es neben der Energiewende auch eine Agrarwende braucht, um die Klimaziele zu erreichen. Die Dringlichkeit dürfte auf politischer Ebene aber noch nicht im notwendigen Umfang angekommen sein. Bis 2030 ist es das Ziel der EU, die Bio-Landwirtschaft auf 30 % zu bringen. Oder andersrum: Wenn dieses Ziel hält, werden in etwa 10 Jahren noch immer zwei Drittel der Betriebe konventionell das Land bewirtschaften.
Dr. Loske erinnert sich an eine pointierte Aussage seiner Oma: „Mit der Landwirtschaft kann man nicht viel verdienen, aber an der Landwirtschaft.“ Kompakter könnte man die Entwicklung der Agrarwirtschaft in den letzten Jahrzehnten nicht auf den Punkt bringen. Zum einen führte der reine Wachstumsfokus dazu, dass die Preise im Keller gelandet sind. Zum anderen gibt es florierende Industrien um die Betriebe herum, die diese Dynamik mit ihren Produkten und Services weiter befeuern.
Das ist ein Teufelskreis, aus dem aber ein Weg herausführt. Angesichts komplexer Pfadabhängigkeiten kann das nur ein gemeinsamer Weg sein. Die Betriebe selbst müssen erkennen, dass die konventionelle Landwirtschaft nicht zukunftsfähig ist. Gleichzeitig müssen sich aber auch Betriebe der Saatgutentwicklung und der Förderung von Pflanzenrobustheit als Teil der Lösung begreifen. „Sie müssen lernen, integrale Konzepte zu entwickeln, und den bäuerlichen Betrieben dabei helfen, dass sie den Pfad der Nachhaltigkeit beschreiten können”, erklärt Dr. Loske. Das gilt auch für die Verarbeitungsbetriebe, den Einzelhandel und alle weiteren Involvierten. Schließlich liegt es vor allem auch an der Politik, die Richtung für diesen Weg vorzugeben. Mit ambitionierteren Zielen und staatlichen Transferleistungen.
3. Biodiversität wird ein Riesenthema in den nächsten 10 Jahren
In unserer Kultur sind wir daran gewöhnt, für Leistungen zu bezahlen. In der Natur ist das anders. Wir bekommen sauberes Wasser, gute Luft, fruchtbare Böden, eine hochfunktionale biologische Vielfalt und ein „stabiles Klima“ – und das gratis. Dieses „Angebot“ haben wir als Gesellschaft mit unserem unökologischen Handeln ins Schwanken gebracht. Dabei ist es eigentlich ein No-Brainer: Don’t bite the hand, that feeds you.
Jetzt versuchen wir seit Jahren, den Klimaschutz mit immer besserer Technologie voranzutreiben. Ein guter Anfang, aber Dr. Loske betont, dass dieser Zugang zu kurz greift: „Mit der Technik alleine kommen wir nicht ans Ziel. Wir müssen die Natur in ihrer Fähigkeit schützen, als Faktor zur Klimastabilität beizutragen. Das betrifft die Böden, Wälder, Moore und die Ozeane mit ihrer Fähigkeit, Temperatur abzumildern und CO2 zu absorbieren.“
Die Biodiversität spielt eine enorm wichtige Rolle in fast allen Bereichen: in der Siedlungspolitik, der Verkehrspolitik und vor allem in der Agrarpolitik. Das wird auch den Entscheidungsträger:innen immer klarer. Ich bin schon jetzt gespannt, welche innovativen „nature-based solutions“ dieser neue Megatrend hervorbringen wird. Eines kann man sich jedenfalls von Dr. Loske mitnehmen: die Zuversicht, dass wir es schaffen können.
Hört einfach ‘mal rein, wenn ihr wissen wollt, mit welchen Stellschrauben die Politik die nachhaltige Entwicklung beschleunigen kann und welche Rahmenbedingungen es dafür braucht. Ich freu mich über eure Kommentare!
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- Ich arbeite in einer Solidarischen Landwirtschaft mit und lade euch ein, mich bei meinem Selbstversuch zu begleiten. Hier erfahrt ihr mehr.