Bewegen statt parken: New Mobility mit Michael Glotz-Richter, Stadt Bremen

„Es reicht in Zukunft nicht, Elektroautos zu haben. Das ist keine Verkehrswende.“

Michael Glotz-Richter

Mein Gast: Michael Glotz-Richter

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Michael Glotz-Richter hat an der TU Berlin Stadt- und Regionalplanung studiert und ist seit 30 Jahren in Bremen in Modellprojekten zu New Mobility aktiv. Heute ist er Referent für nachhaltige Mobilität der Hansestadt. Was Bremen in Hinblick auf New Mobility interessant macht, ist die Fahrradinfrastruktur: Hier wird ein Viertel aller Strecken mit dem Fahrrad zurückgelegt. Das trägt dazu bei, dass man weniger lang im Stau steht (selbst wenn man mit dem Auto fährt und nicht mit dem Fahrrad) und bessere Luft atmet als in den meisten anderen deutschen Großstädten. Nicht unwesentlich für diese Entwicklung war sicherlich, dass die Alte Neustadt Bremen vor vier Jahren den Wettbewerb um das Fahrradmodellquartier gewonnen und 2,4 Millionen Euro aus dem Klimaschutzfonds des Bundesumweltministeriums bekommen hat, um die Fahrradinfrastruktur in der Zone auszubauen.

Die drei Hauptpunkte in Kürze

1. Autos brauchen Platz – der für Fahrräder und vor allem für Menschen fehlt

Viele Menschen ziehen weg aus den Städten, sobald sie Kinder haben. Warum? Es liegt nicht nur an den Wohnungspreisen oder der Nähe zu den Großeltern. Es liegt vor allem am Platzmangel. Kinder können in selbst einer einigermaßen fahrradfreundlichen Stadt wie Bremen nicht einfach draußen spielen – denn draußen, da ist ja die Straße, ein Parkplatz, eine Einfahrt. Kurz: ein Ort, der den Autos vorbehalten ist. Denn die europäischen Städte sind in der Regel nicht für spielende Kinder geplant, sondern für Autos, die den Großteil ihrer Lebenszeit nichts anderes tun, als Platz einzunehmen.

Michael meint: „Wir haben einfach zu viele Autos. Noch dazu sind die Autos in den letzten Jahren länger und breiter geworden. Das verschärft das Problem.“ Mobilität ist eine soziale Frage: Wer ein Auto besitzt, der oder die darf Platz im öffentlichen Raum beanspruchen, alle anderen müssen Platz machen. Ohne ein Anpassen der Infrastruktur ändert sich daran nichts. Michael warnt sogar davor, die Mobilität einfach sich selbst zu überlassen und zu denken: Wenn die Leute Fahrrad fahren wollen, dann sollen sie das doch machen. Im Zweifel gilt nämlich auch im Verkehr das Recht des Stärkeren, und da zieht das Fahrrad oder die Fußgängerin gegenüber der Blechkiste immer den Kürzeren.

2. New Mobility fragt nicht zuerst nach dem Fahrzeug, sondern: „Wie komme ich von A nach B?“

New Mobility ist also nicht (nur) eine Frage von Fortbewegungsmitteln (Fahrrad oder Auto), sondern (auch) von Infrastruktur, von der Vernetzung verschiedener Systeme, vom nahtlosen Übergang von einem Verkehrsmittel aufs nächste – also von wirklich intelligenten Verkehrssystemen. Der Schlüssel wäre, eine Stadt so zu organisieren, dass man nicht auf das Auto angewiesen ist. Was nicht heißt, dass Menschen, die beispielsweise um vier Uhr morgens aus dem Umland zum Schichtbeginn in die Stadt müssen, nicht mit dem Auto fahren sollen. Es ist wie in der Kreislaufwirtschaft: Nur, wenn die jeweils beste Lösung ausgeschöpft ist (Weiterverwenden, Wiederverwenden etc.), kommt die nächstbeste zum Einsatz (z. B. Recycling). Die „Hierarchie“ des nachhaltigen Verkehrs fängt für Michael beim, wie er sagt, ältesten, sozialsten und am meisten unterschätzten Transportmittel an: unseren Füßen. Dann kommt das Radfahren, dann der öffentliche Verkehr, dann das Auto.

Klar, die Diskussion ums Auto ist hoch emotionalisiert und politisiert. Also nochmal: Wer unbedingt will oder muss, soll Auto fahren. Aber die Aufgabe der Politik (Stichwort: Klimawahl) ist, dafür zu sorgen, dass die Städte weniger autofreundlich werden, nämlich regelrecht autounfreundlich. Darum führt nichts herum. Ja, politischer Mut heißt, kurzfristig manche Wähler:innen zu verprellen. Aber die Alternative ist, zu warten, bis die Menschen aufhören, eine Partei zu wählen, weil die Lebensqualität ihrer Kinder wegen des Klimawandels und der Überhitzung der Städte auf ein unerträgliches Maß gesunken ist. Dann ist es für alle zu spät.

Und was machen die Unternehmen, die davon leben, dass Deutschland seine Autos liebt und fördert? Die müssen anfangen, Mobilität als Service zu begreifen. Wenn sie nicht jetzt damit anfangen, sich mit neuen Mobilitätslösungen auseinanderzusetzen und anzuerkennen, dass andere das schon tun und damit erfolgreich sind, dann wird es sie bald nicht mehr geben.

3. Das Mobilitätsbudget ersetzt den Dienstwagen

Sucht nicht länger nach Einsparungspotentialen bei Neubauwohnungen, streicht einfach die Tiefgaragen. Michael rechnet vor: 40 – 60 Tausend Euro kostet ein Garagenplatz im Bau. Und das für einen Verwahrungsplatz für ein Auto, das in einer Stadt die meiste Zeit steht oder für Wege verwendet wird, die mit dem Rad oder dem öffentlichen Verkehr mindestens genauso gut zu bewältigen sind.

Klar, praktisch ist so ein Auto schon, z. B. um in den Urlaub zu fahren. Aber warum tun sich dann nicht zwei – drei Nachbar:innen zusammen und teilen sich ein Auto? Weil das Auto noch immer ein Prestigeobjekt ist. Vielleicht fehlt deshalb in Deutschland die Kultur der Fahrgemeinschaften. Menschen geben lieber unnötig Geld für ein eigenes Auto aus, als mit anderen gemeinsam in einem Fahrzeug zu sitzen und vielleicht nicht die Musik bestimmen zu können. 

Die städtischen Gesellschaften in Bremen haben aufgehört, Mobilität mit Auto gleichzusetzen: Statt einem Dienstwagen gibt es dort ein individuelles Mobilitätsbudget, also etwa für eine Bahncard und was auch immer für euch den richtigen Mobilitätsmix ausmacht. Was mir an dieser Idee gefällt: Es geht eben nicht darum, den Menschen zu sagen, nimm den Zug, nimm das Rad. Sondern: Hier hast du ein Budget, mach daraus das Beste, was dir einfällt und wenn du einmal mit dem Leihwagen, einmal mit dem Bus und einmal mit dem Elektroroller unterwegs bist, viel Spaß.

Hört einfach ‘mal rein, wenn ihr wissen wollt, was eine coole Straße ist, wieso Gratisparkplätze unsozial sind, warum auch Carsharing ein Statussymbol ist und wie sich die Abhängigkeit vom Auto auf eure Kreditwürdigkeit auswirkt.

Lasst mich wissen, was eure Gedanken sind. Ich freu mich auf eure Kommentare! 

Mehr Podcast-Folgen zu New Mobility findet ihr hier.

Das Titelbild wurde von Michael Glotz-Richter für diese Folge zur Verfügung gestellt.