Wie ein gemeinnütziger Verein zum Serial Entrepreneur wurde – mit Michael Fritz (Viva con Agua)

„Du hast als NGO nie Geld. Darum brauchst du Kreativität.“

Ich war in einem Hotel in Deutschland, als mir eine Flasche Mineralwasser ins Auge fiel. Darauf stand geschrieben: Wasser für alle! Alle für Wasser! Darunter der Hinweis, dass man mit jeder dieser Flaschen Trinkwasserprojekte von Viva con Agua unterstützt. Ich wurde neugierig und kontaktierte einen der Gründer:innen. Mit seiner humorvollen und schonungslos ehrlichen Art schaffte er es, mich in nur drei Minuten zu überzeugen, an einer Kunstauktion des Vereins teilzunehmen. Bei der Auktion habe ich dann immer wieder die Hand gehoben. Heute machen die ersteigerten Kunstwerke von wundervollen Künstler:innen die borisgloger-Büros ein Stück bunter – und in Uganda entsteht ein neuer Trinkwasserbrunnen mit den Erlösen. Viva con Agua leistet grandiose Arbeit. Ich kann euch wirklich empfehlen, auf der Website des Vereins vorbeizuschauen und ihn zu unterstützen!

Mein Gast: Michael Fritz

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Michael Fritz ist seit der ersten Stunde bei Viva con Agua aktiv und hat gemeinsam mit seinen Mitgründer:innen etwas Bemerkenswertes aufgebaut. Der Verein ist heute in acht Ländern aktiv, gräbt Brunnen in Regionen, in denen es keine oder nur schlechte Trinkwasserversorgung gibt, und setzt sich für bessere Sanitär- und Hygienestandards ein. Dabei gehen Micha und sein Team innovativ an die Sache heran. Mit schlauen Spendenkampagnen bei Musikfestivals und gleich mehreren Social Businesses haben sie spannende Wege gefunden, um WASH-Projekte (Water, Sanitation, Hygiene) zu finanzieren – und dabei auch noch eine Menge Spaß zu haben. Viva con Agua ist viel mehr als ein klassischer gemeinnütziger Verein. Viva con Agua ist eine riesengroße Entrepreneur-Story.

Das sind die drei Schlüsselpunkte

1. Wenn du nicht weißt, wie es geht, mach es trotzdem!

Viva con Agua ist ein gutes Beispiel dafür, dass man das Gehen am besten im Gehen lernt. Die Gründer:innen hatten am Anfang keine Ahnung, wie Entwicklungsarbeit funktioniert und was beim Aufbau einer NGO zu beachten ist. Sie haben einfach gemacht. Der Verein sei ohne Skript und Strategie entstanden, dafür mit Freestyle und viel Naivität, erinnert sich Micha an die Anfänge vor über 15 Jahren. Entsprechend unkonventionell ging man auch an die Projektfinanzierung heran. „Du hast als NGO nie Geld. Darum brauchst du Kreativität“, sagt der engagierte Gründer. An den Ideen scheint es Viva con Agua jedenfalls nicht zu mangeln. Gemeinsam mit Studierenden, die im Rahmen eines Seminars ein Festival organisierten, entstand die Idee einer Bechersammelaktion: 1 € Pfand für den guten Zweck. Um die Menschen zu erreichen, holte man Musiker:innen an Bord, die das Publikum animierten, die Pfandbecher auf die Bühne zu werfen. Niederschwelliger geht es kaum. „Man muss es den Leuten so einfach wie möglich machen, sich zu engagieren“, ist Micha überzeugt.

Diese Idee war so erfolgreich, dass eine Kooperation mit dem größten Festivalveranstalter in Deutschland folgte. Dadurch konnte Viva con Agua vor der Pandemie knapp 1 Mio. € einsammeln, obwohl der Verein zunächst weder genügend Ehrenamtliche noch die Mittel hatte, um Aktionen dieser Größenordnung über eine ganze Festival-Saison zu organisieren. Aber wenn man will, geht alles. „Ich habe acht Jahre lang jeden Sommer von Mittwoch bis Sonntag auf Festivals gelebt. Montags ins Büro. Dienstags Hirn gesucht und versucht, wieder alles zu organisieren, damit wir mittwochs wieder loslegen konnten“, erzählt Micha Fritz mit einem Grinsen. So viel Energie hat man nur als echter Überzeugungstäter.

2. All-Profit statt Non-Profit: Business für den guten Zweck

Neben den Spendenkampagnen auf Festivals hat Viva con Agua gleich mehrere erfolgreiche Social Businesses aufgebaut. Da wäre das bereits angesprochene Mineralwasser, von dem der Verein mittlerweile 40 Millionen Flaschen pro Jahr produziert. Oder das nachhaltige Klopapier, das darauf aufmerksam macht, dass 4,2 Milliarden Menschen keine Toilette haben. Dazu kommen das jährliche Kunstfestival im Millerntor-Stadion St. Pauli, mittlerweile eines der größten in Deutschland, das eigene Musiklabel und mit der Villa Viva seit Neuestem auch ein innovatives Gasthaus in Kapstadt (und bald in Hamburg). Alle Social Businesses von Viva con Agua sind darauf ausgerichtet, Gewinne zu erwirtschaften. Aber anstatt in die Taschen von Shareholdern fließen diese in das Gemeinwohl. Der Verein bezeichnet sich selbst als All-Profit-Organisation – denn Non-Profit klinge so lieblos, wie man charmant auf der Website wissen lässt.

Wie bringt man so viele unterschiedliche Standbeine unter einen Hut? Bei Viva con Agua sind die Geschäftsfelder in kleine Einheiten strukturiert und entsprechend selbsttragend. „Ich glaube, dass kleine, agile Teams Sachen stemmen können, die große Teams gar nicht machen könnten, weil sie sich zu Tode mieten oder totstrukturieren würden“, rennt Micha bei mir offene Türen ein. Zusammengehalten werden die einzelnen Bereiche durch den starken Purpose der Organisation und die Menschen, die immer wieder neue Mitglieder begeistern und auch anspornen, über Grenzen hinauszugehen. So wie es auch Micha geschafft hat, mich in kurzer Zeit von der Arbeit des Vereins zu überzeugen.

3. Der Westen hat viel zu wenig Ahnung von Afrika.

Wie ist es in Afrika, frage ich Micha gegen Ende unseres Gesprächs ein wenig provokant. „Wie ist es denn in Europa?“, fragt er konsequent zurück und trifft damit den Kern eines zentralen Problems. Afrika ist ein Kontinent mit 55 Ländern. Man kann nicht mal eben mehr als eine Milliarde Menschen über einen Kamm scheren. Genau das passiert aber noch immer in den westlichen Medien. „Afrika, da gibt es Giraffen, Unterernährung, HIV, Armut und Blähbauchkinder. Ich sage das in aller Brutalität, weil das auch die NGOs gemacht haben und immer noch machen, um zu kommunizieren: Du bist weiß und privilegiert. Spende hier für Schwarz, Arm, Afrika. Das ist natürlich das Gegenteil von Augenhöhe“, kritisiert Micha. Allgemein vermisst er in der deutschen Medienlandschaft das Interesse am afrikanischen Kontinent. Zu weit weg, zu wenig Neuigkeitswert – so scheint es.

Bei Viva con Agua kämpft man also zunächst gegen das Desinteresse der Medien, bevor man die eigentlichen Probleme in Afrika in Angriff nehmen kann. Denn jeder weiß, dass viele Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser oder Toiletten haben. Der Verein sieht seine Aufgabe auch darin, den Menschen eine Story zu geben: „Wir laden ein Thema, das keine Aufmerksamkeit bekommen würde, mit universalen Sprachen wie Kunst, Musik, Kultur, Hype, Testimonials auf“, erklärt Micha. Darum das Engagement mit den Musiker:innen und Künstler:innen. Darum die Social Businesses. Am Ende – so macht Micha Fritz seinen Standpunkt klar – sei aber auch dieses ständige Relevant-Machen zu wenig, um eine echte Veränderung auf den Weg zu bringen: „Wir brauchen ganz simple sozio-politische, dem Gemeinwohl dienende Strukturen. […] Das Denken aus der Industrialisierung wird nicht der Komplexität unserer Gesellschaft gerecht.“

Ich kann es euch nur noch einmal ans Herz legen: Seht euch an, was Viva con Agua macht, lasst euch inspirieren und – wenn möglich – spendet! Organisationen wie diese gehen mit Mut voraus und zeigen uns jeden Tag, dass man mit Kreativität und Leidenschaft auch große Probleme angehen kann. Genau darauf kommt es in einer Zeit multipler Krisen an.

Hört einfach ‘mal rein, wenn ihr wissen wollt, was Viva con Agua so erfolgreich macht, wie man zu persönlicher Klarheit kommt und was sich am System ändern muss, damit es den Herausforderungen von heute gerecht wird.

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