Das agile Krankenhaus – mit Detlev Heins (borisgloger)

„Wenn man sich darauf einigt, dass Patient:inneninteresse Gesundheit ist und nicht Krankenbehandlung, warum soll man das nicht versuchen?“

Detlev Heins
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Mein Gast: Detlev Heins

Es ist schon lange mein Wunsch, Agilität in die Krankenhäuser zu bringen. Deshalb freue ich mich so sehr, meinen neuen Kollegen Detlev zu begrüßen, der genau das mit uns tun wird.

Er unterstützt unsere Kunden dabei, Agilität im Kontext Gesundheitswesen zu verstehen und umzusetzen.

Detlev ist Gesundheitsökonom und hat über 30 Jahre Management- und Projekterfahrung im Gesundheitsbereich bei Krankenkassen, Landes- und Bundesverbänden, Krankenhäusern, Ambulatorien, medizinischen Versorgungszentren sowie Aus- und Weiterbildungseinrichtungen in Deutschland und Österreich. Er kennt nicht nur die wirtschaftliche Seite, sondern auch die organisatorischen Prozesse in Gesundheitseinrichtungen. Gleichzeitig interessiert er sich schon lange für Führung sowie persönliche Entwicklung im Arbeitsumfeld und hat deshalb den MBA International Health Care and Hospital Management abgeschlossen.

Dabei ist er auf das Buch „Selbstorganisation braucht Führung“ von Dieter Rösner und mir gestoßen und hat den Wert von Selbstorganisation und Agilität für Krankenhäuser entdeckt. Genauso wie ich ist Detlev überzeugt, dass Krankenhäuser und letztendlich die Menschen, die darin arbeiten und die darin behandelt werden – oder noch besser: die gar nicht erst behandelt werden müssen –, von agilen Ansätzen unglaublich profitieren werden.

Das sind die drei Schlüsselpunkte unseres Gesprächs:

1.     Die Arbeit im Krankenhaus ist komplex

Ich wollte von Detlev wissen, wie ein Krankenhaus funktioniert. Aber ein Krankenhaus ist nur ein Teil des Gesundheitssystems – wenn auch wahrscheinlich der wichtigste. „Die Zusammenhänge sind komplex – und wichtig zu verstehen. Nicht umsonst gibt es eine eigene Wissenschaft dafür: die Gesundheitsökonomie“, sagt Detlev und natürlich hat er recht. Deshalb haben wir ihn schließlich an Bord geholt. Und deshalb bin ich ja so überzeugt, dass Agilität genau das ist, was den europäischen Gesundheitssystemen aus der – bürokratischen – Misere helfen wird.

Denn was das System komplex macht, sind nicht so sehr die Inhalte – dafür gibt es gut ausgebildetes Fachpersonal –, sondern die Zusammenhänge und die (gesetzlichen und anderen) Regeln, nach denen Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen, Ambulatorien und zu einem gewissen Grad sogar Apotheken und Pharmafirmen funktionieren. Beispielsweise wird nicht jede Behandlungsentscheidung in einer Arztpraxis getroffen, also dort, wo die Diagnose gestellt wird. Manche Entscheidungen sind schon aus der Ferne und bürokratisch festgelegt: nämlich, wenn das Geld für eine Behandlung von der Krankenkasse freigegeben wird oder nicht.

2.     Der Fachkräftemangel ist zum Teil hausgemacht

Man könnte meinen, das Behandeln von Menschen im Team sei eine alte Kunst, die zwar technisch immer besser wird, aber immer ähnlich organisiert ist. Denn auch wenn es sich in einer weltweiten Pandemie vielleicht anders anfühlt, sind die Themen für das Gesundheitssystem – also Krankheiten etc. – in der Regel weitgehend die gleichen. Warum werden die Abläufe also nicht immer besser?

Weil das Gesundheitssystem wie andere Systeme auch funktioniert: Es gibt Anreize sowie erwünschte und unerwünschte Wirkungen, positive und negative Verstärkungen. Menschen zu behandeln, ist der Job der medizinischen Fachkräfte und gewissermaßen das Geschäftsmodell des Gesundheitssystems, aber vom User her gedacht fehlt die „Patient:innen-Journey“.

„Patient:innen wollen nicht behandelt werden, sie wollen gesund sein“, so versteht Detlev das mit der Kundenzentrierung. Was passiert in den Krankenhäusern? Anstatt voller Konzentration auf die Gesundheit verpufft unglaublich viel Energie und Wissen an den Schnittstellen (zwischen Abteilungen, zwischen Schichten, zwischen Berufsgruppen). Das ist nicht nur eine Gefahrenquelle, sondern sorgt auch für Frustration bei den Fachkräften, erzählt Detlev: „Ich habe erst vor kurzem gelesen, dass vier von zehn Mitarbeitenden der medizinischen Berufe ihren Beruf nicht mehr ergreifen würden bzw. dem Nachwuchs empfehlen, ihn nicht zu machen.” Eine so hohe Unzufriedenheit gäbe es in keiner anderen Branche. Was schlägt er vor? In agilen Teams gemeinsam am und mit den Patient:innen arbeiten.

3.     Das agile Krankenhaus kommt

„Die Berufsgruppen arbeiten vielfach nebeneinanderher“, erklärt Detlev. Das sei historisch so entstanden. „Taylorismus pur.“

Was in Österreich und Deutschland gerade sehr en vogue ist: Lean Hospital. Diese Methode ist auf den Prozess konzentriert, löst aber nicht das Problem der Schnitt- und Nahtstellen. Anstatt am System zu arbeiten, werden lediglich die Abläufe mit Lean verschlankt. Gleichzeitig wird die Arbeitsteilung aber noch verstärkt.

In einem agilen, user-zentrierten Krankenhaus dagegen bringen sich die Mitarbeitenden in abteilungs- und berufsgruppenübergreifenden Teams ein. Agaplesion macht es vor. Der größte kirchliche Träger für Gesundheitsdienstleistungen in Deutschland mit 23.000 Mitarbeitenden ist gerade dabei, sich agil zu transformieren und in Kreisen zu organisieren.

Das Arbeiten in crossfunktionalen Teams klingt zwar einfach und logisch – und ist es auch, wenn die Einführung erst geglückt ist –, ist aber auch eine ganz schöne Herausforderung. Wie jede agile Transformation fängt auch die eines Gesundheitskonzerns im Kleinen an. Zum Beispiel mit einem einzelnen Krankenhaus oder noch besser einem Teilbereich.

Und wenn ein Krankenhaus erst agil ist, was dann? Dann wären so verrückte Dinge möglich, wie dass die Gesundheit der Menschen und nicht mehr die Behandlung in den Fokus aller Gesundheitsdienstleister rückt. Denkbar wäre, dass Gesundheitsexpert:innen über die Grenzen ihrer Arbeitsstätte hinauswirken und die Menschen zu Präventionsuntersuchungen einladen oder Kampagnen starten. Die Behandlungen im Krankenhaus würden weniger werden, weil immer mehr Menschen präventiv, ambulant versorgt werden könnten. Dafür müssten die Möglichkeiten der Digitalisierung genutzt werden und die Anreizsysteme sich wandeln. Derzeit folgt das Geld noch der Leistung und nicht dem (gewünschten) Ergebnis, nämlich der Gesundheit. Das heißt, die Krankenkassen und letztlich die Politik müssten involviert sein.


Ihr seht, wir haben viel vor. Kontaktiert Detlev oder mich gerne direkt, wenn ihr mehr erfahren wollt.

Im Gespräch hört ihr außerdem, was die Digitalisierung und Verarbeitung enormer Datenmengen für Krankenhäuser bedeuten, wie Ärzt:innen via App Diagnosen stellen und agil zusammenarbeiten könnten und was Künstliche Intelligenz leisten kann. Lasst mich wissen, was eure Gedanken sind. Ich freu mich auf eure Kommentare!