Biodiversität ist (überlebens)wichtiger als die Rettung des Klimas – mit Dr. Frauke Fischer (Agentur auf!)

„Die Natur handelt nicht mit uns. Beim Klimawandel geht es darum, wie wir in Zukunft leben, beim Verlust von Biodiversität und Ökosystemleistungen geht es darum, ob wir in Zukunft noch leben können.“

Dr. Frauke Fischer

Mein Gast: Dr. Frauke Fischer

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Dr. Frauke Fischer ist Biologin, Dozentin, Rednerin, Autorin und Unternehmerin – ein echtes Allround-Talent also. Durch ihren Bestseller „Was hat die Mücke je für uns getan? Endlich verstehen, was biologische Vielfalt für unser Leben bedeutet“ habe ich u. a. erfahren, dass es ohne Mücken keine Schokolade gäbe (Spoiler: An die Kakaoblüte kommen zur Bestäubung nur zwei bestimmte Mückenarten heran). Mit ihrer Agentur auf! berät Frauke Unternehmen auf ihrem Weg in die Nachhaltigkeit. Die Dozentin für „Internationalen Naturschutz“ an der Uni Würzburg hat zudem eine Kakaofirma für nachhaltig produzierte Schokolade gegründet.

Das sind die drei Hauptpunkte

1.     Biologische Vielfalt – was ist das eigentlich?

Wenn wir über die Natur reden, ist selten klar, welche Zusammenhänge in Gänze dahinterstehen. Fakt ist, dass überall auf der Welt ständig Ökosysteme geschädigt werden, wie z. B. Gewässer, Korallenriffe und der Regenwald, um nur einige zu nennen. Dazu kommen unzählige weitere Ökosysteme, in die der Mensch massiv eingreift. Damit die biologische Vielfalt nicht verlorengeht, gibt es sogenannte Hotspots, in denen auf jeden Fall massiv gegen diesen Eingriff vorgegangen werden muss.

Zur biologischen Vielfalt gehören drei Komponenten:

  1. Die genetische Vielfalt trägt zu unterschiedlichen Interessen und Fähigkeiten bei. Wir kennen das von uns Menschen: Der eine repariert gerne ein Auto, der andere liebt es, Brot zu backen. Was für uns gilt, ist auch für andere Organismen wichtig, denn diese Vielfalt führt dazu, dass es eine Vielzahl an Immunsystemen gibt.
  2. Die Artenvielfalt ist wichtig, um das reibungslose Funktionieren von Ökosystemen sicherzustellen. Und: Nur eine intakte Artenvielfalt sichert die Stabilität eines Ökosystems.
  3. Unterschiedliche Ökosysteme wie Wüste, Regenwald oder Korallenriff sind die Basis für sogenannte Ökosystemleistungen. Das sind Leistungen, die die Natur für den Menschen erbringt. Dazu gehören vier Bereiche: Versorgungsleistungen (die direkte Bereitstellung von natürlichen Ressourcen wie etwa Holz), Regulationsleistungen wie im Kontext von Krankheiten und dem Klima, Basisleistungen wie die Photosynthese, die die Grundlage allen Lebens bildet, und kulturelle Leistungen wie die Erholung in der Natur. Alle diese Komponenten kann der Mensch gar nicht oder nur zu einem hohen Preis ersetzen. Biodiversität umfasst diese biologische Vielfalt mit allen Öko- und Landschaftssystemen.

2.     Wir sind stark ökonomisch und physisch von der Natur abhängig

Ökosystemleistungen haben jährlich etwa den doppelten Wert des weltweiten Bruttosozialprodukts! Konkret heißt das, dass weit mehr als die Hälfte des Bruttosozialprodukts von Leistungen aus der Natur abhängt. Wenn man darüber nachdenkt, könnte man meinen, die Menschheit wäre verrückt. Denn wenn wir die Natur einfach in Ruhe machen lassen und naturbasierte Lösungen in Betracht ziehen würden, würden wir automatisch für ein angenehmes Leben sorgen.

Warum also ständig in die Natur eingreifen? Mein Gast meint, wir Menschen hätten oft ein falsches Bild: Der Mensch rottet die Natur und Pflanzen aus und bleibt dann als einzige Spezies übrig. Was viele nicht begreifen: Die Natur braucht uns nicht, um zu überleben, wir sie aber sehr wohl. Also sterben wir irgendwo – nach und nach – im Mittelfeld aus und gehen mit der Natur unter. Die physikalischen Naturgesetze können wir nicht beeinflussen. Stattdessen müssen wir überlegen, wie wir innerhalb der naturwissenschaftlichen Regeln und Gesetze weiterhin gut existieren können.

3.     Der Königsweg ist die Internalisierung von Umwelt- und Sozialkosten 

Wir Konsument:innen sollen ständig ein schlechtes Gewissen haben. Den einen Tag heißt es: Esst keine Mandeln mehr. Am nächsten Tag sind Avocados die neuen Blutdiamanten. Ich glaube ja nicht, dass es der richtige Weg ist, die ganze Schuld auf den Konsumenten abzuladen. Mit meinem Gast bin ich einer Meinung. Frauke hat zudem eine außergewöhnliche Idee: Das biodiversitätsfreundliche Produkt müsste logischerweise viel günstiger sein, als das Produkt, das Biodiversität und Ökosystemleistungen zerstört, weil der Schaden hier mit einberechnet werden muss. Denn aktuell sind Menschenausbeutung und Naturzerstörung noch „unverkäuflich“. Gleichzeitig würde dies eine komplette Umkehrung unseres Wirtschaftssystems bedeuten und ist daher eine Utopie in einer Welt, die stark von Handel und Wirtschaft dominiert wird.

Die kleinere Lösung als Kompromiss: Wir müssen einen Markt finden, in dem es sich lohnt, Ökosystemleistungen zu erhalten. In dem Moment, wo es mehr wert ist, den Wald zu erhalten, als ihn zu zerstören, wird niemand mehr den Wald zerstören. Warum nicht Geld verdienen mit Geschäftsmodellen, die auch funktionieren – MIT der Natur? Ein Beispiel: Statt Skigebiete für das Skifahren immer weiter zu optimieren oder die Infrastruktur für neue Skigebiete herzustellen, sollte man stattdessen die Natur sein lassen und in der Gegend schauen, welche Geschäftsmodelle tragend sein können – ohne direkt in die Natur einzugreifen.

In Ruanda kann man z. B. eine Tour buchen, um die ca. 1000 weltweit verbliebenen Berggorillas anzuschauen, die an Menschen gewöhnt sind und in freier Wildbahn leben. Kostenpunkt: 1500 Dollar. Niemand würde auf die Idee kommen, diese Gorillas zu töten, denn sie bringen Unmengen an Geld ein. Auch in Schutzgebieten in Afrika oder Lateinamerika oder mit Ökotourismus lässt sich Geld verdienen. Naturbasierte Lösungen für den Klimaschutz – dafür geben Menschen Geld aus.


Hört einfach mal rein, wenn ihr wissen wollt, was es mit der Tragödie der Allmende auf sich hat, warum Natur aus meiner Sicht fast zur Kunst wird und warum es besser ist, in intakte Ökosysteme zu investieren als neue Bäume zu pflanzen. Ich bin gespannt auf eure Kommentare.

Titelbild zur Verfügung gestellt von Dr. Frauke Fischer.